Unternehmen wecken mit Heidi-Romantik Lust aufs Land, aber die Arbeit überlassen sie den Bauern. Landwirte sollten endlich die Augen öffnen und selber die gewünschte Botschaft vermitteln, schreibt die Vizepräsidentin der Bäuerinnengewerkschaft Uniterre.
Die neuste Werbung für Schweizer Bauern mit ihrer Hoftier-Kampagne ist die typische Kopfgeburt einer Werbeagentur. Mehreren Personen im Edelweisslook werden Tierköpfe aufgesetzt. Wie soll das verstanden werden? Dass der Mensch auch ein Tier ist, oder umgekehrt? Welche Botschaft kommt rüber?
Da die Fotomontagen nicht für sich sprechen, braucht es Textbotschaften. Aber was sagen diese aus? Nichts Neues. Wir werden täglich über die Werbung mit viel Natur-Romantik überschüttet und geradezu eingeseift. Das kommt an. Wir sehen gerne gehörnte Kühe auf Alpweiden und viele Schmetterlinge auf bunten Blumen, glückliche Hühner, die im Mist scharren dürfen und starke Männer im Sägemehl.
Die neue Plakatkampagne des Schweizerischen Bauernverbands: «Gut, gibt’s die Schweizer Bauern.»
Wir alle wünschen uns ein Stückchen heile Welt, zumindest für uns in der Schweiz. Dieses Heile-Welt-Image wird von vielen verschiedenen Unternehmen bewirtschaftet und regelrecht abgegrast. An vorderster Front mit dabei sind Coop und Migros, Bio Suisse, Tourismus Schweiz und der SBV, gemeinsam mit den jeweiligen Werbeagenturen.
Viele Städter wollen nicht im Alp- oder Berggebiet leben, sie wollen näher am nächsten Tankstellenshop wohnen und keinesfalls nach getaner Arbeit nach Mist stinken.
Auch das Schwing- und Älplerfest ist immer eine kommerzielle Ausschlachtung unserer Gefühle und Bedürfnisse nach Gradlinigkeit, Stärke und Fairness. Im Vorfeld werden wir überhäuft mit entsprechenden Botschaften («Böse Buben – sanfte Riesen», «Swissness pur»), unsere Wünsche nach schönen Landschaften, Kultur und Ursprünglichkeit werden geweckt.
Nun gibt jeder Schwinger am Fest sein Bestes, dies soll hier nicht in Frage gestellt werden. Aber: Viele Städter wollen nicht im Alp- oder Berggebiet leben, sie wollen auch keinen Bergbauern oder keine Bergbäuerin heiraten, sie wollen näher am nächsten Tankstellenshop wohnen und nach getaner Arbeit keinesfalls nach Mist stinken.
Was sie aber wollen, ist eine intakte und saubere Natur, wenn sie Ferien machen oder sich übers Wochenende erholen. Sie wollen die Landschaft erobern, sie wollen den schönen Ausblick und die gute Luft geniessen und sich danach im Wellnessbereich erholen. Diese Bedürfnisse sind legitim.
Wir Bäuerinnen und Bauern kommen diesen Bedürfnissen entgegen: 1.-August-Brunch, Älplerfeste, Eringerkämpfe, Buure-Zmorge, Chästeilete, Olma – es sind für uns Bühnen, auf denen wir unsere Produkte anbieten können, und diese Bühnen müssen liebevoll gepflegt werden. Aber wir sollten uns fragen, inwiefern wir damit nicht eine einseitige Romantikpropaganda portieren, die falsche Vorstellungen weckt.
Welche Bilder und geheimen Wünsche bedienen wir, wenn wir mitmachen bei dieser Heidi-Romantik, die geprägt wird von anderen, von Profis, die in einer ganz anderen Liga spielen und den grössten Teil vom Gewinn einstecken? Wie wäre es, wenn wir unseren Mitmenschen an einem Schwing- und Älplerfest im Berner Oberland oder an einem Kampf der Königinnen im Wallis nebst der schönen heilen Welt auch unsere Anliegen unterbreiten würden? Vielleicht würden sie es verstehen. Zum Beispiel die klare Botschaft: Ein fairer Milchpreis ist 1 Franken pro Liter.
Rohstoffe haben wir keine, also wird unter anderem die Natur ausgebeutet und damit auch die Menschen, die dort leben.
Was kann aus der Schweiz herausgeholt werden? Rohstoffe haben wir keine, also wird unter anderem die Natur ausgebeutet und damit auch die Menschen, die darin leben. Wir erhalten eine schützenswerte Landschaft, aber unsere Milchwirtschaft ist am Boden, weil wir nicht mit Welthandelspreisen mithalten können.
Organisationen, die eine ökologische Landwirtschaft fordern, sich aber nicht für gerechte Arbeitsbedingungen und Verträge und damit für faire Preise einsetzen, sprechen mit gespaltener Zunge und verraten die Anliegen der Landwirtschaft. Organisationen, die sich nicht vehement gegen jegliche Agrarfreihandelsabkommen aussprechen, sind nicht unsere Vertreter.
Sie müssen sich überlegen, für wen sie die Koffer tragen. Und wir müssen uns entscheiden, wem wir unser Vertrauen schenken. Deshalb sind auch die Sponsoren von bäuerlich geprägten Anlässen im Auge zu behalten, denn sie machen dies nie eigennützig, sondern weil sie zu den grossen Profiteuren des Systems gehören.
Trotz allem: Keinesfalls sollten wir uns unsere Feste nehmen lassen, denn wir feiern gerne, ausgelassen und freudig.
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Im Speaker’s Corner publiziert die TagesWoche ausgewählte Texte und Bilder von Community-Mitgliedern. Vorschläge gerne an community@tageswoche.ch.