Über die Hilfe und Entschädigung für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen kann das Parlament entscheiden. Der Bundesrat legt ihm einen Gesetzesentwurf vor, als indirekten Gegenvorschlag zur Wiedergutmachungsinitiative. Diese empfiehlt er zur Ablehnung.
Das Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (AFZFG) sieht einen Solidaritätsbeitrag von insgesamt 300 Millionen Franken vor. Der Bundesrat möchte dieses Geld den schätzungsweise noch 12’000 bis 15’000 lebenden Opfern zukommen lassen.
Die Opfer sollen – auf Gesuch hin – alle den gleichen Betrag erhalten. Dessen Höhe regelt der Bundesrat. Bereits ausbezahlte Soforthilfe wird nicht angerechnet. Finanziert wird der Betrag vom Bund sowie mit freiwilligen Zuwendungen der Kantone und weiteren freiwilligen Zahlungen.
Unrecht gesetzlich anerkennen
Geplant ist aber mehr als finanzielle Unterstützung: Es soll gesetzlich anerkannt werden, dass Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen Unrecht angetan worden ist, «das sich auf ihr ganzes Leben ausgewirkt hat», wie es im Gesetzesentwurf heisst.
Akten sollen aufbewahrt und Betroffene in die Dokumente Einsicht erhalten. Ein nationales Forschungsprogramm soll die wissenschaftliche Aufarbeitung ermöglichen. Die Kantone sollen Anlauf- und Beratungsstellen für Betroffene von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen einrichten.
Bis im vergangenen Jahrhundert wurden in der Schweiz zahlreiche Kinder und Jugendliche und auch Erwachsene einer fürsorgerischen Zwangsmassnahme unterzogen oder fremdplatziert. Es sind Verdingkinder, Heimkinder, administrativ Versorgte, Fahrende und Menschen, die zur Abtreibung oder Sterilisierung gezwungen wurden.
1981 als Stichjahr
Der Entwurf nennt 1981 als Stichjahr: Es betrifft Massnahmen, die davor vollzogen worden sind und auch Massnahmen, die vor 1981 veranlasst, aber erst danach vollzogen worden sind. Als Opfer gilt, wer seelische und körperliche Gewalt oder sexuellen Missbrauch erlitten hat oder für keinen oder einen schlechten Lohn arbeiten musste.
Opfer ist aber auch, wer sein Kind unter Zwang hat weggeben müssen, eine Abtreibung vornehmen oder sich hat sterilisieren lassen müssen. Und Opfer ist, wer in seiner körperlichen und sozialen Entwicklung gezielt behindert worden ist oder sozial stigmatisiert worden ist. Auch Versuche mit Medikamenten werden aufgeführt.
Nein zu Initiative empfohlen
Mit dem Solidaritätsbeitrag von 300 Millionen Franken geht der Bundesrat weniger weit als die im vergangenen Dezember eingereichte und breit unterstützte Wiedergutmachungsinitiative. Diese fordert einen Beitrag von 500 Millionen Franken.
Der Bundesrat empfiehlt das Volksbegehren zur Ablehnung. In seinen Augen kann den Opfern auf Gesetzesstufe schneller geholfen werden als mit einer neuen Verfassungsbestimmung. Viele der Opfer seien in fortgeschrittenem Alter, schreibt er dazu. Mit dem Gesetz könnten sie die gesellschaftliche Solidarität und die Anerkennung des ihnen angetanen Unrechts noch erleben.