Künstler Thomas Ruff findet hässliche Gebäude schön – und kommt bei einem Spaziergang durchs Kleinbasel auf seine Kosten.
Er wartet bereits vor dem Hotel und raucht. Convenience-Kleidung, Schwarz in Grau, normale Statur, Brille. Wir stellen uns vor, mit Vornamen, sein Händedruck ist fest, er sagt: «Thomas Ruff». Ruff ist Fotograf, einer der erfolgreichsten Europas, ehemaliger Student des renommierten Künstlerpaars Becher, Düsseldorfer Schule, also: Distanz, Sachlichkeit, Konzeptkunst. Klingt erstmal nicht besonders zugänglich. Aber warten wir ab.
Thomas Ruff wird an diesem Abend im Schaulager zusammen mit Jacques Herzog ein Gespräch führen. Was für eins, das wüssten sie beide selbst noch nicht, wird Ruff am Ende des Spaziergangs sagen und lachen. Sie kennen sich schon länger, es wird also ein Gespräch unter Freunden. In Basel sei er auch schon öfters gewesen, schliesslich praktiziere er «seinen Kram» nun schon seit gut dreissig Jahren. Sein Kram – das waren erst Innenansichten von deutschen Wohnräumen, dann Aufnahmen von Gebäuden, übergrosse passfotoartige Porträts, später verfremdete Porno-Fotos aus dem Internet und heute Fotogramme, die Ruff in virtuellen Dunkelkammern fabriziert.
Wir wollen uns mit ihm über die Gebäudeaufnahmen (distanziert, aufgeräumt, man sieht jeweils ein Gebäude ohne Schnickschnack, Störfaktoren wie Autos oder Hecken sind wegretuschiert) aus den Anfängen seiner Karriere unterhalten, auf einem Spaziergang durchs Kleinbasel, an Bauten entlang, die Potenzial haben oder nicht. Wann wird ein Gebäude zu Kunst? Was sind Ruffs Kriterien, seine Ansätze und Erwartungen an Architektur und an die Fotografie? Oder, in den Worten des Künstlers: Was soll der ganze Kram?
Und los gehts.
Basler Münster
«Geht gar nicht.» Thomas Ruff vor dem Münster. (Bild: Hans-Jörg Walter)
«Das kann man überhaupt nicht fotografieren. Bei Bechers haben wir gelernt (lacht), dass es für Aufnahmen den idealen Standpunkt gibt. Den gibt es natürlich nicht, aber man versucht ihn zu finden und bildet sich ein, man hat ihn und dann macht man die Aufnahme. Beim Münster ist das unmöglich. Da stehen überall Häuser rum. Diesen Auftrag würde ich ablehnen.»
«Wenn man in die Becher-Klasse kommt, dann muss man Architektur fotografieren. Das war Pflicht, oder zumindest hat es sich so angefühlt. Natürlich alles in Schwarzweiss, war ja Dokumentarfotografie. Ab einem bestimmten Zeitpunkt habe ich das alles über den Haufen geschmissen, mit Farbfotos, Interieurs und Porträts. Dank den Porträts wusste ich dann auch, wie meine Architekturaufnahmen aussehen sollen: immer eine Frontale, möglichst kein Vordergrund, nur Fassade und dahinter grauer Himmel. Alles im Vordergrund ist immer so anekdotisch. Baum, Bank, gelbe Blume, gehört alles nicht zum Gebäude. Ich wollte Point Zero. Und möglichst normale Bauten, ich hatte null Interesse, einen Mies van der Rohe zu fotografieren. Wieso denn? Der ist doch schon gut.»
Wohnhaus Unterer Rheinweg
«Zu viele Hecken»: Wohnhaus am unteren Rheinweg. (Bild: Hans-Jörg Walter)
«Die Komponenten müssen passen: Genug Platz, Vordergrund ohne Gewusel und optimales Wetter. Das Haus muss zum Schema in meinem Kopf passen. Das hier ist schön, feinste 70er-Architektur. Oder 80er? 70er. Ich weiss es nicht. Aber ich würds nicht fotografieren, sind einfach zu viele Hecken davor. Und leider würd ich hier auch gerne fünf Meter hoch, um wirklich ein Vis-à-vis zu haben, um das Ding als echtes Gegenüber zu haben. Und weiter zurück gehen, da wäre dann aber dieser Baum hier im Weg. Den müsste ich wegretuschieren.»
«Als ich das erste Mal ein retuschiertes Bild ausgestellt habe, hörte ich Leute hinter mir tuscheln: ‹Das Foto ist gelogen!›. Das fand ich gut. Mein Ideal war diese Postkartenfotografie aus den 50er-Jahren: kleiner Ort baut ein neues Rathaus, ist stolz darauf, lässt es fotografieren, nigelnagelneu, macht eine Postkarte. So wollte ichs haben.»
Kaserne
«Das Plakat muss weg»: Kaserne. (Bild: Hans-Jörg Walter)
«Das hier liesse sich jetzt fotografieren, nur das Plakat ist nicht so gut.»
Roche-Turm
«Ich glaube, ich würde einfach ein Rendering von Herzog und de Meuron nehmen.» (Bild: Gaspard Weissheimer)
«Ich habe den gesehen, als wir kürzlich ins Engadin gefahren sind, und mir gedacht: ‹Das kann eigentlich nur von einem Büro sein.› War dann auch so. Das ist aufwendig mit dem Fotografieren hier. Ich glaube, ich würde einfach ein Rendering von Herzog und de Meuron nehmen. Und noch eine blaue Wolke drübersetzen (lacht).»
«Die Leute schimpfen beim Turm doch nur, weil man eine natürliche Abneigung gegen alles Neue hat. Bei mir ist das eher umgekehrt. Mich hat mal ein älterer Herr in einer Ausstellung angesprochen und gesagt: ‹Herr Ruff, diese Fotos, die sind ja alle einfach so hässlich. Ich kanns gar nicht aushalten.› Da hab ich gesagt: ‹Wenn Sies so empfinden, klar.› Aber der hatte wohl nur Chagall zu Hause hängen und dachte, diese Interieurs seien ein Schritt zurück in diese Bürgerlichkeit, die er grad zu verlassen versucht hat.»
GEBÄUDE UTENGASSE
Hässlich, also schön: Gebäude in der Utengasse. (Bild: Hans-Jörg Walter)
«Ab wann für mich ein Gebäude schön ist? Wenns hässlich ist. So wie dieses hier.»
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Thomas Ruff im Gespräch mit Jacques Herzog, Donnerstag, 14. Januar 2016, Schaulager Münchenstein, 18.30 Uhr.