Getrübte Vorfreude auf den Cup-Halbfinal beim FC Winterthur

Der FC Winterthur etablierte sich in den letzten Jahren als Alternativklub in der Challenge League. Im zweiten Jahr nach dem Rücktritt von Präsident Hannes W. Keller wird er auf die Probe gestellt.

Das Stadion Schützenwiese in Winterthur ist Kult (Bild: sda)

Der FC Winterthur etablierte sich in den letzten Jahren als Alternativklub in der Challenge League. Im zweiten Jahr nach dem Rücktritt von Präsident Hannes W. Keller wird er auf die Probe gestellt.

Es könnte das absolute Saison-Highlight sein. Am Mittwoch empfängt der FC Winterthur im Cup den FC Basel – zum dritten Mal seit 2012 hat er sich im K.o.-Wettbewerb ein Duell gegen den Schweizer Krösus verdient. Doch die Vorfreude beim FCW ist getrübt. Zehn Runden vor Schluss steckt die Mannschaft in der Challenge League im Abstiegskampf. Trainer Sven Christ musste Mitte Februar gehen, Umberto Romano soll mit Assistent Dario Zuffi den Ligaerhalt noch bewerkstelligen und sich als Dauerlösung empfehlen.

Bis zum letzten Samstag wollten sie sich beim FCW nicht mit dem FCB beschäftigen. «Das Spiel gegen Wil ist viel, viel wichtiger, fast schon existenziell», sagte Andreas Mösli, der Geschäftsführer und das Gesicht des Klubs. «Der FCB ist nur das Dessert. Wir müssen aufpassen, dass die Cup-Euphorie nicht vom Wesentlichen ablenkt.»

Das Spiel gegen Wil ging 1:1 aus, eher glücklich ging es nicht verloren. Aber das Ergebnis brachte das Team nur unwesentlich weiter. Zwar stimmten in den letzten Wochen Leistung und Aufwand, aber zu selten der Ertrag. Es setzte eine bittere Niederlage gegen Neuchâtel Xamax ab (0:1), ein 2:2 gegen den FCZ nach einem starken Auftritt und kein Sieg gegen Wil, das zuvor sechsmal in Folge verloren hatte. Seit November gelangte Winterthur, auch wegen Verletzungssorgen, in der Liga nur zu einem Sieg. Nur im Cup stimmte der Output in dieser Phase mit dem Überraschungssieg im Penaltyschiessen bei den Young Boys und dem 2:1 gegen Chiasso in der Runde zuvor. Die junge Mannschaft, so scheint es, ist zu wenig breit aufgestellt und es fehlt an Erfahrung.

Gegenentwurf zum FCB

Im zweiten Jahr nach dem Rücktritt von Präsident und Gönner Hannes W. Keller steht der FC Winterthur auf dem Prüfstein. Unter Kellers grosszügiger Präsidentschaft und Möslis Gestaltung hat der Klub in den letzten 15 Jahren an Profil gewonnen. Man sieht sich als Gegenentwurf zum FC Basel, Fussballromantik wird gepflegt, Kommerz abgelehnt. Als Vorbild dient mitunter der deutsche Kultklub FC St. Pauli.

Winterthurs Abstieg wäre ein Verlust für die Challenge League. Der Klub hat ein hübsches kleines Stadion, eines ohne architektonischen Schnickschnack, dafür ist es funktional, charmant. Gerne rühmen sich die Winterthurer dafür – die Schützenwiese sei das einzig richtige Stadion im Kanton, spötteln die Fans in Richtung Zürich. Es gibt die beliebte Bierkurve und die Sirupkurve.

Der Rückhalt in der Bevölkerung ist gross. Der FCW ist die Nummer 1 in der Stadt. Die Zuschauerzahlen sind für Challenge-League-Verhältnisse gross, durchschnittlich mehr als 3200 trotzten der sportlichen Misere und besuchten die 13 Liga-Heimspiele der laufenden Saison. Nur der FCZ und Aarau weisen höhere Zahlen auf. Der Klub mit dem gelebten Anti-Kommerz-Image kommt gut an.

Nur, grosse Sponsoren, zum Beispiel die in Winterthur ansässigen Grosskonzerne, zeigen eher wenig Interesse. Sie agieren global, dazu passt ein Challenge-League-Klub als Werbeplattform schlecht. Auch umgekehrt ist nicht jeder Sponsor erwünscht. «Klar, wir brauchen Geld. Aber wir wollen uns treu bleiben», sagt Mösli.

Dies gelte auch jetzt, wo sich die Lage verschärft hat. 700’000 bis 1,5 Millionen Franken schoss Keller in den letzten Jahren ein, um das Defizit zu decken, Challenge-League-Fussball und eine gute Nachwuchsabteilung zu garantieren. Zahlreiche heutige Spitzenspieler sind beim FCW ausgebildet worden oder haben einige Nachwuchsstufen hier durchlaufen: Admir Mehmedi, Remo Freuler und Luca Zuffi, am Mittwoch Gegner mit dem FCB, sind nur einige davon.

Man will auch jetzt, wo neue Mittel beschafft werden müssen, weil Keller seine Zahlungen per Ende Saison einstellt, die Seele nicht verkaufen, sich nicht vom schnellen Geld blenden lassen. Der FC Wil ist das jüngste warnende Beispiel. «Wir wollen nicht von einem einzigen Geldgeber abhängig sein und die Last auf mehrere Schultern verteilen», sagt Mösli. Er ist überzeugt, dass das aktuelle Budget von 4,4 Millionen Franken nicht massiv beschnitten werden muss und plant die kommende Spielzeit mit 3,9 Millionen.

Der Cup-Halbfinal gegen den FC Basel bringt einen sechsstelligen Betrag ein. Natürlich wird es auch diesmal ein Fussballfest. Die Ränge dürften restlos belegt sein. 4800 kamen vor zwei Wochen zum Liga-Match gegen Xamax, um sich bei der ersten Gelegenheit im Vorverkauf ein Ticket zu sichern.

Doch das Spiel kommt zeitlich ungelegen. Es sollte das Dessert sein, aber es ist wie bei einem üppigen Dinner: Nicht jeder hat Appetit auf die Nachspeise, weil das Hauptgericht auf dem Magen liegt.

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