In Libyen hat unter hohen Sicherheitsvorkehrungen die erste freie Parlamentswahl seit mehr als vier Jahrzehnten begonnen. Während die Abstimmung im Osten von Gewaltakten überschattet wurde, herrschte auf den Strassen der Hauptstadt Tripolis Volksfeststimmung.
Mehr als eine Stunde vor Öffnung der Wahllokale bildeten sich in Tripolis bereits lange Schlangen. Libyer machten vor dem Urnengang das Siegeszeichen, Autofahrer fuhren hupend die Strassen entlang, andere riefen „Allahu Akbar“ („Gott ist grösser“). Einige Wähler hatten sich die libysche Flagge um die Schultern gelegt.
Süssigkeiten wurden verteilt und Frauen umarmten sich oder stimmten Lieder an, während sie warteten. Einige skandierten, das Blut der Märtyrer sei nicht umsonst vergossen worden, andere hielten Bilder von Angehörigen hoch, die dem Bürgerkrieg im vergangenen Jahr zum Opfer fielen.
In mehreren Regionen wurde der Wahlgang jedoch erheblich gestört – vor allem im Osten des Landes. So wurden in Adschdabija, 160 Kilometer südwestlich der ehemaligen Rebellenhochburg Bengasi, nach Angaben von Behördenvertretern mehrere Wahllokale nicht geöffnet. Störaktionen wurden auch aus der Ölstadt Brega gemeldet.
Logistische Probleme
Auch in Wüstenstädten wie Dschalo und Odschla im Südosten des Landes mussten Wahllokale nach offiziellen Angaben geschlossen bleiben, weil die Wahlunterlagen in einem Flugzeug auf der Landebahn von Sueitina von Demonstranten blockiert wurden.
Die Zwischenfälle wurden von der Zentralregierung in Tripolis bestätigt. Zugleich sagte der Vorsitzende der Wahlkommission, Nuri al-Abbar, in 94 Prozent der Bezirke sei die Wahl normal verlaufen; einige Wahllokale seien wegen logistischer Probleme geschlossen geblieben.
Die knapp 2,9 Millionen Stimmberechtigten wählen an diesem Wochenende den Allgemeinen Nationalkongress. Die Wahllokale sind bis 20 Uhr (MESZ) geöffnet.
Der Nationalkongress löst den Übergangsrat ab, den Funktionäre und Aktivisten während der Revolution informell gebildet hatten. Er soll eine Übergangsregierung ernennen und die Wahl eines Verfassungsrates für Libyen vorbereiten.