Nach dem deutlichen Ja zum neuen Fortpflanzungsmedizingesetz freuen sich die Befürworter über ein klares Votum zu einer fortschrittlichen Medizin. Die Gegner befürchten, die Anwendung der PID könne in der Praxis schleichend ausgeweitet werden.
«Es wird schwierig sein, bei der Anwendung der PID Missbrauch zu kontrollieren», sagte Nationalrätin Marianne Streiff-Feller (EVP/BE), die sich im Vorfeld der Abstimmung an vorderster Front gegen das Fortpflanzungsmedizingesetz eingesetzt hatte.
Im Gesetz sei nirgends explizit erwähnt oder definiert, was als «schlimme» oder «schwere» Krankheit gelte und damit als Kriterium zur Aussonderung von in vitro erzeugten Embryos. «Hier müssen wir genau hinschauen», sagte Streiff-Feller. Das überparteiliche Nein-Komitee, dem sie angehört, fordert vom Bundesrat, dass er die Anwendung der Präimplantationsdiagnostik (PID) unter strenge Kontrollen stellt.
Zur politischen Diskussion im Vorfeld der Abstimmung sagt die EVP-Nationalrätin, dem problematischen Aspekt der Selektion im Reagenzglas sei in der Debatte zu wenig Beachtung geschenkt worden. «Vielleicht ist es uns zu wenig gelungen, dem Volk zu zeigen, dass es bei dieser Abstimmung nicht um genau dasselbe ging wie bei der Abstimmung zum Verfassungstext vor einem Jahr.»
Keine Designer-Babys
Diese Ansicht teilen die Abstimmungsgewinner nicht. «Grossartig», sagte Nationalrätin Regine Sauter (FDP/ZH) vom Ja-Komitee zum deutlichen Ergebnis. Es sei ein toller Vertrauensbeweis aus der Bevölkerung und zeige, dass das Stimmvolk die verantwortungsvolle Arbeit des Parlaments honoriere. Durch die neuen Behandlungsmöglichkeiten werde es auch weniger Abtreibungen geben, ist sie überzeugt.
Endlich könnten betroffene Paare in der Schweiz eine qualitativ hochstehende und sichere Behandlung erhalten und müssten dafür künftig nicht mehr ins Ausland reisen, schreibt das Ja-Komitee.
Der Ärzteverband FMH sieht im Abstimmungsresultat ein klares Votum für eine zeitgemässe Fortpflanzungsmedizin. Zum Bedenken der Gegner, mit diesem Gesetz werde «Tür und Tor zu Designer-Babys» geöffnet, sagt Bruno Imthurn, Chef der Fortpflanzungsmedizin am Unispital Zürich, im Schweizer Fernsehen SRF: «Designerbabys kommen nicht. Das ist verboten und bleibt verboten.»
Wertvolle Debatte
Enttäuscht zeigen sich wie erwartet die Behindertenorganisationen. «Das war zu befürchten», sagte Christa Schönbächler von der Organisation Insieme. «Wir sind nicht zufrieden mit dem Resultat, aber froh um die breite Debatte, welche im Vorfeld der Abstimmung stattfand.»
Diese habe in der Bevölkerung das Bewusstsein für die Problematik geschärft. Dem Versprechen der Befürworter, die Einführung der erweiterten PID führe nicht zu einer Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, müssten nun Taten folgen. «Das ist unser wichtigstes Anliegen», sagte Schönbächler.
Auch die Schweizer Bischofskonferenz äusserte sich kritisch. Das revidierte Gesetz bedeute einen Rückschritt. Es gefährde den vollständigen Schutz des menschlichen Lebens von seinem Anfang bis zu seinem Ende. Der evangelische Kirchenbund will künftig darüber wachen, dass genetische Diagnostik nicht zur Durchsetzung eines standardisierten Menschenbilds missbraucht wird.
Freude bei den Liberalen
Bei den Parteien zeigte sich einzig die EVP enttäuscht und warnte vor der Gefahr eines ethischen Dammbruchs. SP und Grüne, die Stimmfreigabe beschlossen hatten, äusserten sich nicht zum Ergebnis.
Die CVP will «im Auge behalten», dass die Entwicklung nicht in Richtung Selektion und Kind nach Mass geht. Die SVP fordert alle mit der Umsetzung betrauten Akteure auf, Missbräuche zu verhindern.
«Ausserordentlich erfreut» über das Ja zeigte sich hingegen die FDP. Auch die BDP und GLP geben sich zufrieden und sprechen von einer «fortschrittliche Haltung der Mehrheit» (BDP) und einem «gesellschaftspolitischen Schritt vorwärts» (GLP).