Für Giulia Steingruber beginnt heute mit der Qualifikation das sportliche Olympia-Abenteuer. Sie gehört am Boden zu den Medaillen-Anwärterinnen, beim Mehrkampf und Sprung hat sie ebenfalls Ambitionen.
«Mein nächstes Ziel: der Sprung auf den Turn-Olymp». Seit drei Jahren ziert dieser Slogan die Homepage der 22-jährigen St. Gallerin. Heute Nachmittag ist es für Steingruber nun soweit. In der zweiten von fünf Subdivisionen bestreitet sie in der Rio Olympic Arena ihren Qualifikationswettkampf, in dem es für die einzige Schweizer Teilnehmerin gleich zu Beginn am Boden und am Sprung um alles geht.
Seit ihrer ersten Olympia-Teilnahme 2012 hat sich Steingruber von der Sprung-Spezialistin zur Mehrkämpferin entwickelt, am Boden etablierte sie sich ebenfalls in der Weltspitze. Mittlerweile sind die Chancen auf den Gewinn einer Olympia-Medaille am Königsgerät der Frauen sogar grösser als am Sprung, vor zwei Monaten gewann sie in Bern dank ihrer neuen Übung überlegen den EM-Titel. «Sie hat eine Knaller-Übung und kann mit den Besten der Welt mithalten», sagte Felix Stingelin, der Chef Spitzensport im Schweizerischen Turnverband.
Steingruber selbst will sich mit dem Thema Medaillen noch nicht befassen. «Natürlich hat man diese im Hinterkopf. Aber eine zu gewinnen ist extrem schwierig, denn es gibt viele starke Turnerinnen, die dieses Ziel auch haben.» Die stärkste Konkurrenz kommt aus den USA mit Simone Biles, der Überturnerin der letzten Jahre, und Alexandra Raisman. Noch höher hängen die Trauben am Sprung, bei dem die Tickets um den Einzug in den Final der Top 8 bereits hart umkämpft sein werden.
Wie bei ihrem EM-Triumph in Bern wird Steingruber neben dem Tschussowitina (Schwierigkeitsgrad 6,2) den Jurtschenko mit einer Doppelschraube zeigen. Auf ihren neuen Sprung, den Tschussowitina mit einer zusätzlichen halben Schraube, der vom Kampfgericht mit einem Schwierigkeitsgrad von 6,6, im Idealfall von 6,7 gewertet werden würde, wird Steingruber – wenn überhaupt – erst im Final zurückgreifen. «Ich muss voll bereit sein, damit ich ihn mit Überzeugung machen kann. Sonst ist er zu gefährlich.» Auch wenn Steingruber die Premiere glücken sollte, ist sie im Kampf um die Medaillen nur Aussenseiterin. Erste Anwärterinnen auf die Podestplätze sind Hong Un-jong, die nordkoreanische Olympiasiegerin von 2008, Biles sowie die russische Weltmeisterin Maria Paseka.
«Schritt für Schritt» lautet das Motto der Fahnenträgerin der Schweizer Delegation an der Eröffnungsfeier. «Am Ende hängt alles von der eigenen Leistung ab.» Noch hat Steingruber mit Olympia eine Rechnung offen, nachdem sie vor vier Jahren in London in der Qualifikation bei ihrem zweiten Sprung gestürzt war und den Einzug in den Sprung-Final knapp verpasst hatte. Diese leere Seite habe sie noch auszufüllen. Am besten mit einem Sprung auf den Turn-Olymp.