Gloria

Als Gewinnerin eines Bären hat sich bei der Berlinale Paulina Garcia empfohlen. Selten zu sehen, eine Frau, die fast alle Frauenalter in einer Figur darstellen kann, und in allen galubwürdig bleibt. Gloria ist auf Aufriss. Die Männer sind nicht uninteressiert. Auf dem Dancefloor bietet sich ihr das übliche Bild. Das Tempo ist gemässigt. Die Bewegungen […]

Als Gewinnerin eines Bären hat sich bei der Berlinale Paulina Garcia empfohlen. Selten zu sehen, eine Frau, die fast alle Frauenalter in einer Figur darstellen kann, und in allen galubwürdig bleibt.

Gloria ist auf Aufriss. Die Männer sind nicht uninteressiert. Auf dem Dancefloor bietet sich ihr das übliche Bild. Das Tempo ist gemässigt. Die Bewegungen sind diskret. Die Herrenschläfen sind meliert. Die Damenfrisuren sitzen auch im Stehen. Die Tanzschritte sind eher Fusstrippeln und Fingerbewegungen. Ü50 eben. Dort findet Gloria Abwechslung. Dort sucht Gloria Kontakt.

In ihrem Frauenleben scheint alles in Ordnung. Als Mutter war Gloria leidlich. Die Scheidung verlief friedlich. Die Kinder sind selbständig. Eigentlich ist Glorias Mutterleben gelungen. Das Grossmutterleben ist keine grosse Herausforderung. Die Tochter wird zum Vater des Enkelkindes nach Schweden ziehen. Glorias Leben scheint geordnet,bis auf kleine Brüche: Die Nacktkatze etwa, die immer wieder Zuflucht in ihrer Wohnung sucht, duldet sie nicht. Die  nächtlich lauten Streitereien des Nachbarn versucht sie zu unterbinden. Die Kinder fragen nicht wirklich nach ihr. Gloria kämpft mehr gegen die Einsamkeit als gegen das Alter. Einsamkeit macht alt.

Dann tritt Rodolfo Fernandez in ihr Leben. Er sollte die Hauptperson eines der kleinen Abenteuer werden. Doch plötzlich geraten in dem Frauenleben die Dinge durcheinander. Wie ein Teenager sucht sie ihn aus. Wie eine junge Geliebte lässt sie sich verführen. Wie ein Schulmädchen geht sie mit ihm in seinen Abenteuerpark. Wie eine Tochter aus gutem Haus stellt sie ihn zum Geburtstag ihres Sohnes der Familie vor. Wie eine Mutter lässt sie ihn gewähren, wenn er sich um seine Familie kümmert. Rodolfo hat nämlich noch anderes im Sinn. Er ist von seiner Familie besetzt. Seine Töchter, sagt er brauchen ihn. Seine Exfrau, sagt er, kann nicht für sie sorgen. Deshalb verschwindet er plötzlich aus dem Leben von Gloria, als wäre es nur eine Teenagerliebe gewesen.

Es sind solche Momente, in denen Paulina Garcia aus «Gloria» einen grossen Film macht. Wie im Gesicht dieser Frau abwechselnd die Gewissheit betrogen zu sein, die Hoffnung auf den Geliebten, oder der Zorn auf sich selbst aufscheinen, ist schlicht grandios. Was in diesem Gesicht alles ins Licht der Leinwand gerät, ist Legion. Als hätte die Schauspielerin ihr ganzes Leben in diesem Film ins Spiel bringen können, öffnet sie jedem Gesicht des Frauseins ihren reichen Fundus. Die Verliebte, die Enttäuschte, die Grande Dame, die Herrin, das Mädchen, die Forscherin, die Liebhaberin, die Extatische, wie die Verlorene oder die Rächerin. Das schafft sie mit kleinen Gesten. Das setzt sie immer mit wenig Aufwand ins Bild. Und mit einer weisen Gelassenheit rundet sie das Bild einer Frau ab, die zum Schluss allein, aber nicht einsam, den Ruhm ihres Lebens geniesst.

Sebastian Leilo hat nicht nur ein kluges Drehbuch verfilmt. Es ist ihm auch gelungen, die Kameralinse bei all den grossen kleinen Augenblicken von Paulina Garcia offen zu halten. Dadurch fängt er weit mehr ein, als nur die Geschichte einer Frau im dritten Alter. Während draussen die chilenischen Studenten protestieren, richtet Leilo seinen Blick auf ein geordnetes Frauenleben zwischen Beruf und — tia, was? Das eben öffnet der Film uns mit Leichtigkei. Es gibt ein Leben vor dem Tod. Das fängt für diese Frau eben jetzt an. Immer wieder von Neuem. Zum Beispiel, wenn sie dem Marionettenspieler, der den Tod tanzen lässt, etwas Geld zusteckt.

«Gloria», der auf dem Festival von San Sebastion schon prämiert wurde, vermag fast auf allen Ebenen unser Interesse abzuholen. Selbst vor den Liebesszenen der beiden Ü50-er schreckt Leilo nicht zurück, sondern setzt sie offen, humorvoll und sinnlich ins Bild. Leilo hat sehr wohl erkannt, dass er mit dem Gesicht der Garcia gleich mehrere Filme erzählen kann. Deshalb beschränkt er sich klug darauf, den Gesichtszügen von Gloria zu folgen, und uns manchmal auch über die Zeit mit ihr allein  zu lassen. Das rächt sich aber nicht. Im Gegenteil. Sie schafft eben dieses ‚mit allem Eins sein‘, das das Alleinsein dieser Frau so heiter macht. Zum Schluss tanzt sie sich wie ein junges Mädchen in ihren Körper hinein, ohne eine Sekunde ihr Alter vergessen zu wollen. Da ist ein Frauenleben endlich: Voller Gloria in jedem Alter.  

 

Er Film läuft ab heute unter anderem in den Kult.Kinos in Basel

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