Goldener Bär für iranischen Taxi-Driver

Am Ende waren Kritiker und Jury sich einig. Der mutigste Film der diesjährigen Berlinale kam aus dem Iran. Gleichzeitig hat Berlin sein Lieblingskind Jafar Panahi für dessen Mut belohnt. Der mutigste Film der diesjährigen Berlinale kommt aus dem Iran und heisst «Taxi». Am Ende waren Kritiker und Jury sich einig und belohnten Regisseur Jafar Panahi […]

Weil ihr Onkel im Iran im Hausaresst sitzt: Die Enkelin von Jafar Panahi mit dem goldenen Bären

Am Ende waren Kritiker und Jury sich einig. Der mutigste Film der diesjährigen Berlinale kam aus dem Iran. Gleichzeitig hat Berlin sein Lieblingskind Jafar Panahi für dessen Mut belohnt.

Der mutigste Film der diesjährigen Berlinale kommt aus dem Iran und heisst «Taxi». Am Ende waren Kritiker und Jury sich einig und belohnten Regisseur Jafar Panahi für dessen Mut.

Panahi, der an der Berlinale 2006 den Grossen Preis der Jury gewann, steht seit fünf Jahren im Iran unter Hausarrest. Wie fast jedes Jahr, war er an der Berlinale wiederum der grosse Abwesende.

Vor vier Jahren blieb sein Stuhl als Mitglied der Jury demonstrativ leer. Vor zwei Jahren war er mit «Pardé» im Wettbewerb vertreten – ohne anreisen zu dürfen. In diesem Jahr kürte man den Regisseur, der trotz Berufsverbot wieder einen Film aus dem Land schmuggelte, zum Gewinner des goldenen Bären.

Nahe bei der Person

Panahi tut in seinem Film «Taxi», was andere Künstler auch tun, die von ihrer Kunst nicht leben dürfen: Er fährt Taxi. Er befragt seine Passagiere, während er sie durch Teheran fährt. Mit zwei fest installierten Kameras blickt er in die alltägliche Privatheit in seinem Taxi und fängt dabei intime, wie auch dramatische und ganz alltägliche Augenblicke ein.

Er greift zur schärfsten Waffe, die politische Machthaber fürchten: Humor. Und er nimmt den Machthabern deren Waffe aus der Hand – die Kontrolle der Öffentlichkeit.

Mit «Taxi» wurde aber nicht nur ein Dokument politischer Aufmüpfigkeit gekürt. Es wurde auch der Mut belohnt, für einen Film sein Leben zu riskieren.

Ein Western aus dem Osten: Aferim!

Ein Western aus dem Osten: Aferim!

Ein guter und vielseitiger Jahrgang

Fast ebenso halsbrecherisch hat der Rumäne Radu Jude, der für «Aferim!» einen silbernen Bären erhielt, seinen Kommentar zur Gegenwart verpackt.

Er verlegt seine östliche Western-Geschichte ins neunzehnte Jahrhundert, in die feudale Wallachei. Dort lässt er in einer poetischen Don Quichotterie eine exemplarische Ausschaffung exerzieren.

Die Berlinale hat mit der Preisvergabe auch weiteren, politischen Feinsinn bewiesen. So verlieh sie dem Guatemalteken Jayro Bustamante für seinen herzwarmen Film über die indigene Kultur, «Ixcanul», ebenfalls einen silbernen Bären.

Auch dem verrätselten Endzeitgemälde des Russen Alexey German jr., hat man immerhin einen silbernen Bären für seine Optik verliehen, und gab ihm damit den Vorzug vor dem anderen Bilderstürmer im Wettbewerb: Peter Greenaway, der mit «Eisenstein in Guanajuato» leer ausging.

«Perlmuttknopf» Poesie aus Chile

«Perlmuttknopf» Poesie aus Chile

Als diskursives Meisterstück der jesuitischen Doppelmoral erhielt schliesslich Pablo Larraín mit «El Club» den Grossen Preis der Jury. Damit hat der chilenische Film gleich zweimal triumphiert.

Auch der zweite Chilene, Patrizio Guzmán, erhielt für die Sprachgewalt seines «Perlmuttknopf» einen silbernen Bären. Die Schweiz ging mit «Vergine Giurata» leer aus.

Hauptlinie des Programms: «Die verkörperte Identität» oder die «Identität des Körpers».

Auch nach der nur bruchteilhaften Sichtung der Filme der Berlinale sticht unter den Hauptthemen dieses Jahres eines hervor. «Die verkörperte Identität» oder die «Identität des Körpers».

Im Schweizer Wettbewerbsbeitrag «Vergine Giurata» lässt sich eine Frau als Mann in der Männerwelt gefangen nehmen, und muss sich ihre Freiheit als Frau erst wieder erarbeiten.



«Vergine Giurata» - Schweizer Beitrag im Wettbewerb

«Vergine Giurata» – Schweizer Beitrag im Wettbewerb

In dem grandiosen Vater-Tochter-Drama «Body» der Polin Malgorzata Szumowska sucht ein Vater nach dem Wesen seiner magersüchtigen Tochter und stösst dabei plötzlich auf Körper, die ihr Leben auf dieser Welt bereits beendet, die Welt aber durchaus noch nicht verlassen haben.

In «Mariposa» des Argentiniers Marco Berger wechseln Junge und Mädchen, wie Schmetterlinge, ihre Erscheinungsform gleich mehrfach.

«El Club» - radikale Religionskritik aus Chile

«El Club» – radikale Religionskritik aus Chile

In «El Club» ringen exkommunizierte Priester um ein Arrangement mit den körperlichen Verfehlungen aus ihrer Vergangenheit.
Der sowjetische Regisseur Sergej Eisenstein findet (in Peter Greenaways «Eisenstein in Guanajuato») auf seiner Reise nach Mexiko nicht nur ein Land der Revolution vor, sondern gerät auch in die Wirren einer privaten sexuellen Revolution. Mit seinem mexikanischen Liebhaber findet er zu seiner neuen körperlichen Identität.
In «Mot Naturen» der Norweger Marte Vold und Ole Giæver sucht ein junger Familienvater allein draussen in der Natur seinen körperlichen Wünschen näher zu kommen.
Und in «Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern», von Stina Werenfels, ringt eine junge behinderte Frau um ihre körperliche Identität.

«Body» der Polin Malgorzata

«Body» der Polin Malgorzata

Film kann die Welt nicht verändern – aber den Blick auf sie

Dieser Berlinale-Jahrgang bebildert teils blendend und oft berückend die Gegenwart. Dennoch bleibt der Eindruck, Filmemacher mit ihren Zwängen zwischen Geldgebern und Arbeitsnot finden nur schwer zu den brennenden Fragen der Gegenwart. Viele der Filme blicken lieber in die Vergangenheit oder blicken aus der Vergangenheit zu uns herüber.

Da interessieren persönliche Verluste («45 Years», «Chorus»), schmerzliche Trennungen («Everything will be fine», «Zurich»), im Stich gelassene Kinder («Im Spinnewebland»), oder die Sinnkrise und das Leben in der Party-Lounge («Viktoria») westlichen Wohlstandes. 

Joel Basman, ganz links, im Wende-Deutschland

Joel Basman, ganz links, im Wende-Deutschland

Der Film als Wirklichkeitsflucht

In kunstvoll verrätselten Modellen wie «Der letzte Sommer der Reichen», des Österreichers Peter Kern, oder in dem zum Schreien komischen «Der Bunker», von Nikias Chryssos wird die Befindlichkeit im Wohlstand skizziert.

Die aus der Arbeitswelt verdammte Jugend taucht höchstens noch als ein trauriges Kapitel der Vergangenheit auf, wie etwa in dem fiebrigen Gegenprogramm zur «Sonnenallee», das Andres Dresen mit «Als wir träumten» vorlegte, in dem auch Joel Basman zu sehen war.

Der Russe Alexey German hat vielleicht am eindrücklichsten gewagt, die hochverschuldete Gegenwart für bankrott zu erklären.

In seinem «Under electric Clouds» wagt er einen deprimierenden Blick in die nächste Zukunft – die eigentlich schon unsere Gegenwart ist. Er zeigt das Elend an den Rändern der Gesellschaft, Umweltzerstörung mitten in den Städten, orientierungslose Machthaber und Oppositionelle – und tatsächlich wagt er es, einen Krieg, der in zwei Jahren anfangen soll, zu prophezeien, von dem wir alle wissen, dass er längst ausgebrochen ist.

Under electric Clouds - die komplette Conditio Humana

Under electric Clouds – die komplette Conditio Humana

Das Interesse an der Zukunft: Die Berlinale ist den Filmen von morgen auf der Spur

An der Zukunft interessiert, scheinen vor allem jene Filme, in denen Kinder – als Vertreter der Zukunft – anwesend sind. In «Ixcanul» hat eine junge Frau noch Träume. Im «Spinnewebland» sind es gar die Kinder, die auf die Erwachsenenwelt ganz verzichten, und ihr eigenes Leben führen.

Nicht nur die elf Tage der Party-Berlinale strahlen frische Jugendlichkeit aus. Es haben sich auch wieder unzählige junge Künstler gemeldet: Die Berlinale legt auch gerade für die Tummelwiese der Talente sehr viel Sorgfalt auf eine gleichwertige Präsentation mit den Grossen. Im Katalog findet jeder Kurzfilm eben so viel Raum, wie die Filme der Altmeister, wie zum Beispiel Wim Wenders «Every Thing Will Be Fine».

Schweiz mit vier Langfilmen vertreten

Gleich mit vier Langfilmen war der Schweizer Film in den Programmen der Berlinale. «Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern» lief in der Sektion «Panorama». Stina Werenfels präsentiert ihre filmische Version des gleichnamigen Theaterstückes von Lukas Bärfuss. Der Film wurde in Berlin für seine Schauspieler und seine exzessive Optik gelobt. Victoria Schulz, die in «Dora» ihr Kinodebüt gibt, hat gleich mit einer faszinierenden Rollenarbeit überrascht.

Lars Eidinger, der in Berlin als Ensemblemitglied der Schaubühne bestens bekannt ist, hat sich als Bindeglied der Schweizer Produktionen erwiesen: Nach seiner Rolle in «Dora» ist er auch als Bademeister in «Vergine Giurata» Teil der Identifikationssuche der weiblichen Hauptfigur. Der Erstlingsfilm der italienischen Regisseurin Laura Bispuri wurde von RSI mitproduziert ging allerdings, trotz einer blendenden Alba Rohrwacher, bei der Bären-Vergabe leer aus.

Stina Werenfels und ihr Ehemann Samir konnten gemeinsam mit ihrer Schweizer Produktionsfirma «dschoint ventschr» eine Première feiern. Noch nie konnte ein Ehepaar in einem Jahrgang der Berlinale gleichzeitig zwei Filme präsentieren. Samirs 3D-Dokumentarfilm «Iraqi Odyssey», der via Toronto, Zürich, Abu Dhabi und Solothurn auf einer eigenen Odyssee zu der Fassung gefunden hat, ist in Berlin vollendet angekommen. In der Reihe «Panorama Dokumente» fiel er durch seine launige Familienliebe und sein klug eingesetzte 3D-Technik auf.

Die Schweizer Beteiligung an dieser Berlinale war damit wiederum stärker als letztes Jahr. Dennoch darf das nicht darüber hinwegtäuschen. In Berlin werden mehrheitlich Schweizer Filme gezeigt, die auch mit Geldern aus Europa mitfinanziert wurden. Das macht die Branche für die Zukunft unruhig. Seit die Zusammenarbeit mit den europäischen Partnerländern durch die EU sistiert wurde, hat sich nicht viel verändert. Was in diesem Jahr in Berlin zu sehen war, ist merheitlich noch vor dem 9. Februar letzten Jahres aufgegleist worden.

Am schlichtesten und gleichzeitig eindrücklichsten sei hier ein kleiner Schweizer Beitrag hervorgehoben, der dieses Comittement zum Nachwuchs gleich mehrfach wiederspiegelt und auch einen wunderbar hoffnungsvollen Ausblick auf die Zukunft erlaubt. Die Berlinale bietet jedes Jahr eine grandiose Filmreihe für Kinder und Jugendliche, die «Generation Kplus»  oder «Generation 14plus». Ursula Meier zeigte in dieser Reihe einen kleinen Film, und doch einen mit einer grossen Resonanz. Sie hat ein paar von den wichtigsten Filmminuten des Festivals beigetragen.

Ein Zukunftshoffnung: Regisseurin Ursula Meier und ihr Darsteller Kacey

Ein Zukunftshoffnung: Regisseurin Ursula Meier und ihr Darsteller Kacey

Eine Lektion Film aus der Schweiz

Ursula Meier ist eine jener Regisseurinnen («Home», «Sister»), die sich konstant in Begegnungen mit Schauspielern schulen. Sie verkörpert auch deshalb die Zukunft, weil sie die Arbeit mit Schauspielern im Zentrum sieht. Und Schauspieler, das wissen wir, lohnen es ihren Regisseuren gern mit guter Arbeit. Wie wir an der Berlinale viele gesehen haben (Ian McKellen, Alba Rohrwacher, Charlotte Rempling, Helen Mirren, Tom Courtenay).

Im Kurzfilm «Kacey Mottet Klein, naissance d’un acteur» stellt die Regisseurin eine «Lektion Film» vor – und einen jungen Menschen, der sich zum Schauspieler mausert. Kacey: «Am Anfang war die Kamera für mich eine grosse schwarze Spinne, mit langen Beinen», beschreibt Kacey seine Anfänge mit ihr.

«Jetzt ist Spielen vor der Kamera wie bei einem Hundertmeterlauf. Man trainiert monatelang und wenn der Schuss gefallen ist, muss man alles vergessen und losrennen».

Kacey hat bereits in seinem ersten Film mit Ursula Meier, «Home», mit einer der besten Schauspielerinnen der Welt arbeiten können, mit Isabelle Huppert, und in dieser Arbeit einen gemeinsamen Weg mit Ursula Meier begonnen.

Zwischen «Action!» und «Cut»

Mit Isabelle Huppert vor der Kamera zu stehen, gab ihm die Chance, mit einer der Besten in das Spiel der Wirklichkeit einzutauchen. Ursula Meier lernte von beiden, wie sie den kleinen Jungen behüten, fördern und fordern konnte.

In «Kacey Mottet Klein, naissance d’un acteur» stellt die Regisseurin nun eine «Lektion Film» vor, und hält ein kleines Plädoyer für zukünftige Filme. Mit dem Off-Kommentar des in der Zwischenzeit erwachsenen jungen Schauspielers zeichnet sie Kaceys Weg vor der Kamera seit Kindertagen nach.

«Alles spielt sich zwischen Action und Cut ab», sagt Kacey Mottet Klein. «Dazwischen ist ein schwarzes Loch. Da vergisst sich der Körper.» Kacey spricht mit altmeisterlichem Vokabular über seine junge Kunst. Er kann, wie kaum einer, sich und die Kamera vergessen, wenn er dreht. «Da handelt es sich nicht mehr darum, Text zu sagen. Sondern eine Figur in einer Situation zu sein.»

Als Zwölfjähriger fiele er so in «Sister» mit der Hauptrolle auf. Der Film wurde an der Berlinale 2012 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet und zeigt den Jungen in einem verzweifelten Kampf ums Überleben – hinter den Kulissen eines Schweizer Skiparadieses. Kacey dazu: «Ich beobachte Menschen, ihre Körper, ihre Bewegungen, suche nach meinen Gefühlen, und dann heisst es Action und dann ist da nur noch ein schwarzes Loch.»

«Kacey Mottet Klein, naissance d’un acteur» macht klar, dass viel Zukunft vor Kacey liegt: Ursula Meier hat in dem Film die Erfahrung eines Kindes eingefangen, das vor der Kamera gelernt hat, Darsteller zu sein, und vielleicht einmal einer wird wie die Alt-Stars Charlotte Rampling und Tom Courtenay («45 Years»), die für ihre Darstsellung den Silbernen Bären erhielten. 

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