Ein Golfball ist nicht Richtung Loch Nummer 9 geflogen, sondern hat einen 60 Meter entfernten Spieler getroffen: Das Zürcher Obergericht muss die Frage klären, ob das zum Restrisiko des Sports gehört oder ob es sich um eine Straftat handelt. Das Urteil steht noch aus.
Ein heute 67-Jähriger schlug im Juli 2010 auf dem Golfplatz Kyburg ZH beim Loch 9 ab. Er traf aber den Ball nicht richtig. Vor dem Obergericht Zürich sprach er am Donnerstag von einem «offenbar gravierenden Fehlschlag».
Der Ball irrte ab, flog – statt zum Loch 9 – mit einer Abweichung von etwa 25 Grad durchs Gebüsch – und traf 60 Meter entfernt einen anderen, gleich alten Golfspieler mitten im Gesicht. Der Mann machte sich auf der Bahn 7 gerade für seinen Abschlag bereit.
Der Getroffene zog sich eine Rissquetschwunde an der Unterlippe, eine Zahnschmelzabsprengung an zwei Zähnen sowie eine Zahnfraktur zu. Er habe während Monaten starke Schmerzen gehabt, sagte dessen Rechtsanwältin. Er hätte das Augenlicht verlieren können, ja der Golfball hätte ihn gar töten können. «Unter diesem Schockerlebnis litt er lange.»
Anklage: Sorgfaltspflichten verletzt
Die Rechtsanwältin des Verletzten und die Staatsanwaltschaft glauben, dass sich dieser Unfall hätte verhindern lassen können: Der Golfspieler sowie der Betreiber und der Planer des Platzes hätten ihre Sorgfaltspflichten verletzt und sich damit der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht.
So hätte der Golfspieler insbesondere warten müssen, bis sich keine Personen mehr im kritischen Bereich befunden hätten, schrieb die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage. Und die Platzverantwortlichen hätten Massnahmen, etwa den Bau eines Schutznetzes zwischen den Bahnen 7 und 9, ergreifen müssen.
Die Staatsanwaltschaft forderte bedingte Geldstrafen zwischen 40 und 80 Tagessätzen. Das Golfballopfer verlangte zudem Schadenersatz und Genugtuung in Höhe von fast 180’000 Franken.
An die Spielregeln gehalten
Die drei Beschuldigten wiesen den Vorwurf von sich und forderten drei vollumfängliche Freisprüche. Dass sich der andere Spieler verletzt habe, tue ihm leid, sagte der beschuldigte Hobbygolfer. Aber Fehlschläge kämen vor, selbst bei Profispielern. Er habe sich nichts zu Schulden kommen lassen.
Sein Mandant habe die Spielregeln eingehalten, ergänzte dessen Verteidiger. Vor ihm hätten sich auf und in der Nähe der Bahn keine Personen aufgehalten. Und als der Ball dann unerwartet, überraschend und derart weit nach rechts abirrte, habe er den in den Golfregeln vorgesehenen Warnruf «Fore» abgegeben.
Auch die Platzverantwortlichen wiesen die Vorwürfe der Sorgfaltspflichtverletzung von sich. Seit der Eröffnung im Jahr 2004 seien 360’000 Runden gespielt worden, sagte der Platzbetreiber.
Ausser diesem einen unglücklichen Unfall sei bisher nichts passiert. Deshalb würden sich auch keine Massnahmen aufdrängen. «Wenn es 360’000 Mal kein Problem gibt, dann gibt es kein Problem.»
Das Golfspiel sei per se gefährlich, meinte der Planer und Erbauer des Platzes. «Ich muss mich darauf verlassen können, dass sich die ausgebildeten Golfspieler korrekt verhalten.» Er wies – wie die beiden weiteren Beschuldigten – darauf hin, dass der Unfall auf das erlaubte sportspezifische Risiko zurückzuführen sei, für das niemand eine Schuld trage.
«Auf einem Golfplatz fliegen Golfbälle»
Das sah auch das Bezirksgericht Pfäffikon ZH als erste Instanz im Oktober 2014 so, welches zu drei Freisprüchen gelangte: Es sei für einen Golfspieler augenfällig, dass «auf einem Golfplatz Golfbälle herumfliegen», heisst es im schriftlichen Urteil.
Wer auf den Golfplatz gehe, setze sich dem ihm bekannten Risiko aus, von einem abirrenden Golfball getroffen werden zu können. «Kommt es dann zu einem Unfall der vorliegenden Art, erscheint es eigenartig, darin reflexartig eine strafbare Handlung zu erblicken.»
Das Urteil des Obergerichts wird zu einem späteren Zeitpunkt schriftlich eröffnet.