Knapp fünf Jahre nach dem Reaktorunfall in Fukushima sind auch Gebiete ausserhalb der Sperrzone noch radioaktiv verseucht. Das zeigen Messungen von Green-Cross, die am Samstag an der ETH Zürich anlässlich einer Tagung präsentiert wurden.
Der höchste Strahlungswert von 4,01 Mikrosievert pro Stunde wurde in der verlassenen Stadt Tomioka gemessen, wie die Umweltorganisaiton Green-Cross Schweiz mitteilte. Laut dem Kernphysiker Stephan Robinson entspricht dies einer Jahresdosis von 35 Millisievert oder dem 35-fachen der internationalen Dosislimite für die Bevölkerung.
Aber auch ausserhalb des Sperrgebietes seien Dosisraten von bis zu 20 Millisievert pro Jahr gemessen worden, stellte der Bereichsleiter (Wasser, Abrüstung) von Green-Cross fest. Die Analysen der Bodenproben zeigten zudem eine massive Überschreitung der Grenzwerte bei Alpha- und Bethastrahlern. Diese seien besonders gefährlich, wenn sie über Lebensmittel in den Körper gelangten.
Eine Rückkehr in Gebiete ausserhalb der Sperrgebiete sei auch heute noch mit Risiken verbunden. Lokale Erzeugnisse seien durch radioaktive Stoffe bedroht, die sehr langlebig und «unregelmässig wie Flecken auf einem Leopardenfell» verteilt seien.
Für die Bevölkerung bestehe die Gefahr von gesundheitlichen Spätschäden wie Krebs und genetischen Anomalien. Dies vor allem deshalb, weil die Menschen nicht hohen Strahlendosen ausgesetzt seien, aber chronisch belastet würden und das Risiko der Aufnahme von Radioaktivität durch die Nahrung hoch sei.
Laut Robinson werden Kompensationszahlungen nur im Fall von Evakuierungen geleistet. Dies gelte derzeit für die im Jahr 2011 erlassenen Sperrgebiete, jedoch nicht für andere, sichtlich belastete Gebiete, wie Koriyama in der Präfektur Fukushima, aus dem zwei Proben von Green-Cross stammen.
Japan plane jedoch Anfang 2018 die Aufhebung des Evakuierungsbefehls für mehrere kontaminierte Sperrgebiet. Damit würden für 50’000 Personen die Kompensationszahlungen aufgehoben. Dies sei aus Sicht von Green-Cross nicht vertretbar, sagte Robinson.
Den Glauben an Kernenergie verloren
Bis zur Fukushima-Katastrophe habe er geglaubt, die Kernenergie sei eine fortgeschrittene Technologie und man müsse nur sorgfältig damit umgehen, sagte der frühere Premierminister von Japan, Naoto Kan, an der Green-Cross-Tagung. Der Unfall habe seine Sichtweise grundlegend verändert. Heute halte er die Atomenergie für die gefährlichste Form der Energiegewinnung.
«Eindeutig falsch» sei auch die Behauptung, Kernenergie sei günstiger als Öl oder Erdgas. Rechne man die Entschädigungsgelder bei Unfällen oder die Kosten für die Endlagerung mit ein, sei sie teurer als Öl oder Erdgas.
Hätte der Unfall von Fukushima nur etwas grössere Ausmasse gehabt, hätte man laut Kan Menschen in einem Umkreis von 250 Kilometern langfristig evakuieren müssen. Damit wären der Raum Tokio und 50 Millionen Menschen betroffen gewesen. «Diese Erkenntnis», so der ehemalige Premierminister, «sollten dazu führen, die Atomenergie aufzugeben, weil sie weder wirtschaftlich, sauber noch sicher ist».
Drei schwere Unfälle in 60 Jahren
Laut Vladimir Kusnetsow von der russischen Akademie der Naturwissenschaften ist die «Wahrscheinlichkeit von weiteren Reaktorunfällen zunehmend». Die hypothetische Annahme, dass die Wahrscheinlichkeit einer grossen Havarie mit Austritt einer erheblichen Menge radioaktiver Stoffe nicht grösser sei als ein Fall auf 20’000 Reaktorjahre, habe sich als falsch erwiesen.
Innerhalb von nicht einmal 60 Jahren sei es bei einer Gesamtbetriebsdauer der Kernenergieblöcke der Atomkraftwerke von knapp über 15’000 Reaktorjahren zu drei schweren Unfällen gekommen, bei denen die aktive Zone der Kernreaktoren geschmolzen sei. Die daraus entstandenen wirtschaftlichen Schäden bezifferte Kusnetsow auf hunderte Millionen Dollar.
Green Cross wurde vom ehemaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow gegründet. Die Umweltorganisation hat sich zum Ziel gesetzt, Folgeschäden von Industrie- und Militärkatastrophen wie etwa der Atomkatastrophe von Tschernobyl zu lindern.