Eine Woche nach der verlorenen Bundestagswahl brechen die Grünen aus der selbstgewählten Beschränkung auf die SPD als Koalitionspartner aus. Die SPD gibt sich derweil selbstbewusst und will vor Neuwahlen nicht zurückschrecken, sollte eine Regierungsbildung scheitern.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann rief die Teilnehmer des kleinen Parteitags der Grünen am Samstag in Berlin dazu auf, Verantwortung zu übernehmen. Im Hinblick auf die Sondierungen zur Bildung einer neuen Regierung in Deutschland warnte er vor einer allzu grossen Koalition.
Parteichef Cem Özdemir plädierte dafür, auch ein rot-rot-grünes Bündnis in Betracht zu ziehen. Kontrovers wurde über die Ursachen für die Niederlage bei der Bundestagswahl diskutiert. Die Grünen waren bei der Bundestagswahl um 2,3 Prozentpunkte auf 8,4 Prozent gefallen, nachdem sie im Sommer in Umfragen noch bei knapp 15 Prozent gelegen hatten.
Keine zu grosse Koalition gewünscht
Mit einer Gegenstimme und einer Enthaltung nominierten die Delegierten unter anderem die Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin zu den Verhandlungsführern möglicher Sondierungsgespräche. Über einen Koalitionsvertrag soll ein Sonderparteitag entscheiden. Möglich ist aber eine Befragung der Grünen-Mitglieder.
Kretschmann warnte, eine grosse Koalition würde die Energiewende nur unter Kostengesichtspunkten betrachten und wäre ein Bündnis von Kohlekraftanhängern. Die Grünen lehnen Kohlekraftwerke wegen der Kohlendioxid-Abgase ab. Union und SPD könnten in der kommenden Woche zu einem ersten Sondierungsgespräch zusammenfinden. Allerdings gibt es unter Sozialdemokraten erhebliche Vorbehalte gegen eine Koalition mit der Union.
Bündnis mit SPD für Grünen-Chef gleichwohl möglich
Grünen-Parteichef Özdemir plädierte dafür, ein Bündnis mit der SPD und der Linkspartei auszuloten. Die Partei müsse einen Kurs der Eigenständigkeit einschlagen. Die Linkspartei rief er auf, die Schuldenbremse zu akzeptieren. Dann könne man mit ihnen auch reden. Auch Trittin erklärte, die Grünen seien bereit, mit allen Bundestagsparteien über ein Bündnis zu reden.
Alle Redner betonten, oberstes Ziel von Koalitionsverhandlungen müssten die Inhalte sein. Die Grünen dürften auch keine Furcht haben, die scheitern zu lassen.
SPD würde vor Neuwahlen nicht zurückschrecken
Die SPD will derweil trotz des grossen Stimmenabstandes zur Union mit Selbstvertrauen in Sondierungsgespräche über eine Koalition gehen. Nachdem ein Parteikonvent den Weg für die Gespräche freigemacht hatte, forderten führende Sozialdemokraten am Samstag ein Entgegenkommen von CDU und CSU.
Über einen möglichen Koalitionsvertrag sollen die 470’000 Mitglieder der SPD in einer Urabstimmung entscheiden, deren Ergebnis bindend ist.
SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte nach den vierstündigen Beratungen am Freitag: «Die SPD ist zu Gesprächen bereit.» Geführt werden sollen diese von einem Team, dem unter anderen SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sowie der gescheiterte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück angehören sollen.
CSU-Chef kritisiert Plan zur Urabstimmung bei der SPD
Gabriel sagte, die Sozialdemokraten schreckten im Notfall auch vor Neuwahlen nicht zurück. Die SPD habe weder Angst vor dem Gang in die Opposition oder in eine Regierung, noch vor Schwarz-Grün. «Und wir haben auch keine Angst vor Neuwahlen, wenn solche Verhandlungen scheitern, weil die Inhalte nicht ausreichend sind, um Zustimmung von Sozialdemokraten zu bekommen.»
CSU-Chef Horst Seehofer kritisierte den Beschluss zu einer Urabstimmung der SPD. «Die Vorsitzenden der beteiligten Parteien haben alle ein Mandat und die Verantwortung, für stabile Verhältnisse zu sorgen», sagte er der «Bild am Sonntag». «Wir sind doch keine Hasen, die aus Schreck vor einer Regierungsbildung kreuz und quer durchs Feld laufen.»