Spanien greift an der EM nach dem Titel-Hattrick. Auf den Titelverteidiger lauern aber bereits in der Gruppenphase Gefahren: Tschechien, die Türkei und Kroatien sind ambitionierte Aussenseiter.
Trotz der Aufstockung auf 24 Teams kann in der Gruppe D von einer Verwässerung des Niveaus nicht gesprochen werden. Alle vier Teams haben aufgrund ihrer Erfahrung und ihrer Tradition Ansprüche auf einen längeren Verbleib im Turnier.
Favorit auf den Gruppensieg ist Titelhalter Spanien. Die tatsächliche Stärke der «Seleccion» ist jedoch schwierig abzuschätzen. Die Spanier stellten 2011 und 2013 den U21-Europameister und dominieren seit Jahren den europäischen Clubfussball. In der Qualifikation gewannen sie neun der zehn Spiele und kassierten nur drei Gegentore. Mit der Ukraine und der Slowakei als stärkste Gegner fehlten allerdings die ganz grossen Kaliber in der Gruppe.
Vor zwei Jahren scheiterte die Mannschaft von Trainer Vicente del Bosque an der Weltmeisterschaft in Brasilien bereits in der Vorrunde, der Umbruch begann. Mit Xavi Hernandez, Xabi Alonso und David Villa sind wichtige Pfeiler der «goldenen Ära» nicht mehr dabei. Noch immer verfügt Spanien aber über viel Erfahrung. Acht Spieler waren bereits beim WM-Titel 2010 dabei, zehn gehörten zum Kader, das 2012 den EM-Titel erfolgreich verteidigte.
Vicente del Bosque, Trainer des spanischen Umbruchs. (Bild: Keystone/EMILIO NARANJO)
Den Umbruch trieb Del Bosque auch auf die EM hin voran. Er verzichtete auf Diego Costa, Fernando Torres und Juan Mata und setzt stattdessen im Sturm neben Alvaro Morata, den Torschützenkönig der U21-EM 2013, auf weniger bekannte Spieler wie Aritz Aduriz, den 35-Jährigen von Athletic Bilbao, oder Nolito von Celta Vigo. Der 29-jährige Flügel war einst beim FC Barcelona durchgefallen.
Nach der Enttäuschung von 2014 sind die Iberer gewarnt, denn sowohl Tschechien als auch die Türkei und Kroatien haben schon bewiesen, dass an Endrunden mit ihnen zu rechnen ist. Die Türkei erreichte an der WM 2002 und der EM 2008 die Halbfinals, Tschechien trumpfte an Europameisterschaften immer wieder gross auf. Und Kroatien erreichte 1998 den WM-Halbfinal und scheiterte an EM-Endrunden zweimal in den Viertelfinals.
Kroatien: Starke Offensive, schwache Abwehr
Gerade Kroatien hat mit zwei seiner Gegner noch eine Rechnung offen: 2008 unterlagen die Kroaten im EM-Viertelfinal der Türkei im Penaltyschiessen, nachdem sie einen Vorsprung in der Verlängerung nicht über die Zeit gebracht hatten. Und gegen Spanien bekundeten sie vor vier Jahren zum Abschluss der Vorrunde Pech, als sie kurz vor Schluss das 0:1 kassierten, ihnen aber zwei Penaltys unterschlagen worden waren.
Einmal mehr verfügt Kroatien über eine überdurchschnittliche Mannschaft. Das Prunkstück ist das Mittelfeld mit Luka Modric, dem in Möhlin aufgewachsenen und beim FC Basel gross gewordenen Ivan Rakitic sowie Mateo Kovacic. Und mit Mario Mandzukic, Nikola Kalinic und Ivan Perisic verfügt Kroatien auch über einen starken Angriff. «Diese Mannschaft hat ihr letztes Wort noch nicht gesprochen», hatte der als Trainer abtretende Slaven Bilic 2012 prophezeit.
Tschechien und Türkei leichte Aussenseiter
Als Aussenseiter gehen Tschechien und die Türkei ins Rennen um die Achtelfinalplätze. Tschechiens Trainer Pavel Vrba schaffte mit seiner nur mit wenigen Stars bestückten Equipe eine Überraschung und beendete die Gruppe A als Sieger.
Vrba setzt zwar noch immer auf die Altstars Petr Cech und Tomas Rosicky, der 52-Jährige schenkt aber neben den beiden Baslern Tomas Vaclik und Marek Suchy vielen Spielern aus der heimischen Liga das Vertrauen. Ein wichtiger Mann im Mittelfeld ist Vladimir Darida von Hertha Berlin. Die Offensive ist geprägt von Spielern von Sparta Prag, dem Viertelfinalisten in der Europa League.
Der Kroate Luka Modric, einer der grossen Spieler dieser Gruppe D. (Bild: UEFA)
In der Türkei entfachte Trainer Fatih Terim wieder einmal eine Euphorie. Am Bosporus träumen sie von einem ähnlichen Erfolg wie 2008, als die Türkei bis in den Halbfinal gestürmt war. Vergessen ist der schwache Start in die Qualifikation oder der Abgang des langjährigen Stammtorhüters Volkan Demirel, der sich im Herbst 2014 vor der Partie gegen Kasachstan auswechseln liess, nachdem er von Fans beschimpft worden war. Dank drei Siegen zum Abschluss der Qualifikation und der Hilfe Kasachstans, das Lettland besiegte, qualifizierte sich die Türkei als bester Gruppendritter auf direktem Weg für Frankreich.
Spanien: Den Umbruch eingeleitet
Spanien strebt nach den Titeln 2008 und 2012 in Frankreich den Hattrick an und könnte damit Deutschland, das ebenfalls drei EM-Titel vorweisen kann, mit dem insgesamt vierten Erfolg übertrumpfen. Im Gegensatz zu den letzten Turnieren tritt Spanien an der EM-Endrunde aber nicht mehr als Topfavorit an. Noch immer verfügt die «Seleccion» zwar über eine erstklassige Mannschaft. Nach dem Aus in der Vorrunde an der WM 2014 in Brasilien war Trainer Vicente del Bosque aber gezwungen, einige Änderungen vorzunehmen.
Mit Xavi Hernandez fehlt im Mittelfeld das Herz und die Seele der «Goldenen Generation», im Sturm sind die Nachfolger von David Villa und Fernando Torres, die insgesamt 14 Tore zu den Titelgewinnen 2008, 2010 (WM) und 2012 beigetragen haben, noch nicht gefunden. Auf Paco Alcacer, den besten Torschützen aus der Qualifikation, verzichtete del Bosque ebenso wie auf Torres und Diego Costa.
Spanien in Zahlen | |
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Einwohner | 46,8 Millionen |
Hauptstadt | Madrid |
Gründung Fussballverband | 1913 |
Fifa-Ranking | 6 |
Bisherige EM-Teilnahmen | 10 (1960, 1964, 1980, 1984, 1988, 1996, 2000, 2004, 2008, 2012) |
Bestes EM-Resultat | Sieger (1964, 2008, 2012) |
Qualifikation | Sieg in der Gruppe C (10 Spiele/27 Punkte) |
Bester Torschütze in der Qualifikation | Paco Alcacer (Valencia) mit 5 Toren |
Bekannteste Spieler | Sergio Busquets (Barcelona), Iker Casillas (Porto), Cesc Fabregas (Chelsea), Andres Iniesta (Barcelona), Gérard Piqué (Barcelona), Sergio Ramos (Real Madrid) |
Trainer | Vicente del Bosque (ESP/seit 2008) |
Tschechien: Ein starkes Kollektiv
Womöglich hatte Tschechien schon talentiertere Nationalteams. 1976 beim bislang einzigen EM-Titel mit Antonin Panenka und Zdenek Nehoda. Oder 1996, als Tschechien mit den jungen Pavel Nedved und Karel Poborsky erst im Final Deutschland unterlag. Oder 2004, als das wohl talentierteste tschechische Team der Geschichte mit Nedved, Tomas Rosicky, Petr Cech und Jan Koller im Halbfinal am Überraschungsteam Griechenland scheiterte.
Rosicky und Cech sind auch 2016 die bekanntesten Namen im Aufgebot, dem auch die Basler Marek Suchy und Tomas Vaclik angehören. Mit offensivem Fussball setzte sich Tschechien als Sieger der schwierigen Gruppe A gegen Island, die Türkei und die Niederlande durch und sicherte sich die zehnte EM-Teilnahme.
Tschechien in Zahlen | |
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Einwohner | 10,5 Millionen |
Hauptstadt | Prag |
Gründung Fussballverband | 1901 |
Fifa-Ranking | 29 |
Bisherige EM-Teilnahmen | 9 (1960, 1976, 1980, 1996, 2000, 2004, 2008, 2012) |
Bestes EM-Resultat | Sieger 1976 |
Qualifikation | Platz 1 in der Gruppe A (10 Spiele/22 Punkte) |
Bester Torschütze in der Qualifikation | Borek Dockal (Sparta Prag) mit 4 Toren |
Bekannteste Spieler | Vladimir Darida (Hertha Berlin), Petr Cech (Arsenal), Tomas Rosicky (Arsenal) |
Trainer | Pavel Vrba (CZE/seit 2014) |
Türkei: Die Wundertüte
Nach einem schwachen Start und nur einem Punkt aus den ersten drei Spielen fing sich die Türkei in der Qualifikation auf und sicherte sich mit 17 Punkten aus den letzten sieben Spielen und nur drei Gegentreffern als bester Gruppendritter das direkte Ticket für die EM. 2015 blieb die Türkei in zehn Länderspielen ungeschlagen.
Die bekannteste Figur steht einmal mehr an der Seitenlinie: Fatih Terim, der «Imperator», führte die Türkei zum dritten Mal nach 1996 und 2008 an eine EM-Endrunde. Die bekanntesten Spieler sind Captain Arda Turan vom FC Barcelona und Hakan Calhanoglu von Bayern Leverkusen. Die grosse Mehrheit des Kaders spielt in der Heimat.
Türkei in Zahlen | |
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Einwohner | 79,5 Millionen |
Hauptstadt | Ankara |
Gründung Fussballverband | 1923 |
Fifa-Ranking | 13 |
Bisherige EM-Teilnahmen | 3 (1996, 2000, 2008) |
Bestes EM-Resultat | Halbfinal 2008 |
Qualifikation | Rang 3 in der Gruppe A (10 Spiele/18 Punkte) |
Bester Torschütze in der Qualifikation | Burak Yilmaz (Beijing Guoan) mit 4 Toren |
Bekannteste Spieler | Hakan Calhanoglu (Bayer Leverkusen), Arda Turan (FC Barcelona) |
Trainer | Fatih Terim (TUR/seit 2013) |
Kroatien: Der gefährliche Aussenseiter
Die «Hakenkreuz-Affäre» und ein Trainerwechsel überschatteten Kroatiens Qualifikation zur vierten EM-Teilnahme in Serie. Während des Spiels Kroatien gegen Italien vom 12. Juni 2015 in Split (1:1) war ein auf den Rasen gesprühtes Hakenkreuz-Symbol sichtbar geworden. Ein Punkt Abzug, eine Busse von 100’000 Euro und zwei Geisterspiele waren die Folge davon.
Nach den Vorfällen in Split und zwei ungenügenden Resultaten wurde Trainer Niko Kovac kurz vor Ende der Qualifikation durch Ante Cacic ersetzt. Einmal mehr verfügt eine Generation des kleinen Landes an der Adria mit nur 4,3 Millionen Einwohnern über eine grosse Zahl an überdurchschnittlichen Fussballern. Real Madrid, FC Barcelona, Juventus Turin oder Napoli heissen die Teams, bei denen die kroatischen Internationalen unter Vertrag stehen.
Kroatien in Zahlen | |
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Einwohner | 4,3 Millionen |
Hauptstadt | Zagreb |
Gründung Fussballverband | 1912 |
Fifa-Ranking | 23 |
Bisherige EM-Teilnahmen | 4 (1996, 2004, 2008, 2012) |
Bestes EM-Resultat | Viertelfinals (1996, 2008) |
Qualifikation | Platz 2 in der Gruppe H (10 Spiele/20 Punkte) |
Bester Torschütze in der Qualifikation | Ivan Perisic (Inter Mailand) mit 6 Toren |
Bekannteste Spieler | Mateo Kovacic (Real Madrid), Nikola Kalinic (Fiorentina), Mario Mandzukic (Juventus Turin), Luka Modric (Real Madrid), Ivan Rakitic (Barcelona), Darijo Srna (Schachtar Donezk) |
Trainer | Ante Cacic (CRO/seit September 2015) |