Ob stoische Königin, verführerische Hexe oder Mutter eines IRA-Kämpfers: Helen Mirren spielt grosse Rollen von Blockbusterkino bis Broadwaybühne. Heute wird die Golden Globe- und Oscar-Preisträgerin 70 Jahre alt. Eine Rückschau in sieben Filmen.
Die letzte Auszeichnung für ihre Schauspielleistung erhielt Helen Mirren in den vergangenen Wochen: für ihre Darbietung im Broadway-Stück «The Audience» wurde sie mit dem Tony Award, dem wichtigsten amerikanischen Bühnenschauspielpreis, geehrt. In «The Audience» spielte sie eine Rolle, die ihr die vergangenen Jahre viel Gutes gebracht hatte: Elizabeth II.
Bereits 2007 übernahm sie die Rolle der britischen Königin für den Film «The Queen», der auf demselben Theaterstück basierte, und erhielt dafür ihren ersten Oscar. Auf den ganz grossen Leinwänden begann Mirrens Karriere vergleichsweise spät – als Schauspielerin, vor allem im britischen Kino, reichen ihre Wegmarken jedoch Jahrzehnte zurück.
1. «The Queen» (2006)
Die alte Dame und die moderne Massenhysterie: als Lady Di, die vom Volk geliebte, durch die Scheidung von Prinz Charles jedoch aus der Königsfamilie ausgeschiedene Prinzessin, durch einen Autounfall stirbt, versinkt das Vereinigte Königreich in tiefer, kollektiver Trauer – alle, bis auf eine: ihre einstige Schwiegermutter Königin Elizabeth II. Das langjährige Staatsoberhaupt, die ihr Amt als Dienst als Privileg versteht, sperrt sich gegen jegliche emotionale Eruption und folgt streng dem Protokoll – und stürzt das Haus Windsor damit in eine Krise, die zu einer nie dagewesenen Ablehnung der Monarchie im britischen Volk führt.
Stephen Frears‘ Verfilmung dieser Zerreissprobe setzt der von Formalismen verschütteten Menschlichkeit der Königin den frisch ins Amt gewählten, (noch) jovialen Premier Tony Blair entgegen, dessen anfängliche Gleichgültigkeit gegenüber der Monarchin nach und nach in stille Bewunderung umschlägt. Dem Publikum geht es nicht anders, und das verdankt Frears‘ Film einer aufs äusserste subtilen Darbietung von Helen Mirren. An der Oscar-Nacht trat sie in der besten weiblichen Hauptrolle gegen Hollywood-Schwergewichte wie Meryl Streep, Judi Dench oder Kate Winslet an – und holte die Auszeichnung dennoch diskussionslos.
2. «Excalibur» (1981)
Die Rolle der Morgana in dieser düsteren Verfilmung der Artus-Sage war nicht Mirrens erste Darbietung in einem Aufsehen erregenden Film: zwei Jahre zuvor spielte sie eine Nebenrolle in Tinto Brass‘ schlüpfriger, skandalumwitterter Cäsaren-Verfilmung «Caligula». «Excalibur» und dessen auf psychologische Deutung bedachte Interpretation des mythologischen Stoffs war eine der eindeutig geglückteren Verfilmungen der britischen Gründersage um Feen, Könige und in Stein versenkte Schwerter, und das lag nicht zuletzt am Cast: Liam Neeson, Gabriel Byrne, Patrick Stewart und auch Helen Mirren waren damals noch relativ unbekannte Gesichter auf der Filmleinwand, ihr Können war aber unübersehbar – und gipfelte in einer Nominierung als bester Film für den damaligen Cannes-Wettbewerb.
3. «The Cook, the Thief, His Wife & Her Lover» (1989)
Albert Spica ist ein grobschlächtiger Gangsterboss, der sich wie so viele seiner Sorte mit dem Schein des guten Geschmacks umgibt. Dafür hält er Anteile an einem edlen französischen Restaurant, wo er Abend für Abend speisen geht, jedoch seine ungehobelten Manieren und seine Brutalität nicht abstreifen kann. Leidtragende seiner Ausbrüche ist vor allem seine Frau Georgina (Helen Mirren), die sich – man ahnt es – in eine Affäre mit einem feingeistigen Bücherfreund flüchtet. Ihr Ehemann bekommt Wind davon – und verlangt daraufhin, dass sein Nebenbuhler getötet, gekocht und ihm auf dem Teller vorgesetzt werde.
Tiefschwarz und voller feinsinniger Anspielungen wie derben Zoten ist dieser Film – und gleichzeitig eine opulent ausstaffierte Parabel auf das Ende des hemmungslosen Kapitalismus der britischen Thatcher-Ära: wer Schwäche zeigt, wird gefressen. Kein Wunder, dass sich die englische Anarcho-Band Chumbawamaba der heimlichen, unterdrückten Heldin Georgina einen Song widmete.
4. «The Madness of King George» (1994)
Mit dem britischen Königshaus kannte sich die Shakespeare-Mimin Mirren bereits vor ihrer späteren Oscar-Rolle gut aus. In dieser urbritischen Komödie um die geistige Umnachtung des Monarchen George III. im ausgehenden 18. Jahrhundert nimmt Mirren schon einmal auf dem Königinnensitz Platz – und muss zusehen, wie ihr Gemahl und König nach einem gescheiterten Attentatsversuch den Verstand verliert und vom intriganten wie müssiggängerischen Dauphin um Thron und Krone bedroht wird. Nigel Hawthorne, der die Hauptrolle zuvor bereits während zwei Jahren auf der Theaterbühne gespielt hatte, reisst den Film auf beeindruckende Weise an sich, neben ihm brilliert Helen Mirren als Stichwortgeberin in den erstklassigen spitzzüngigen Dialogen. Bestes Kostümkino mit schwarzem britischen Humor.
5. «Some Mother’s Son» (1996)
Neben den Dramen um die britischen Königshäuser war es vor allem der nordirische Konflikt, der Helen Mirren wiederholt Rollen bescherte, in denen sie ihr ganzes Potential abrufen konnte. Für «Cal», in der sie die Witwe eines ermordeten Mitglieds der nordirischen Besatzungspolizei spielt, die unwissentlich eine Affäre mit dem schuldgeplagten Mörder ihres Mannes beginnt, wurde sie bereits 1985 für dem Britischen Film- und Bühnenpreis nominiert. Gut zehn Jahre später übernahm sie in «Some Mother’s Son» die Rolle der Mutter eines verhafteten IRA-Untergrundkämpfers, der via Hungerstreik den Märtyrertod im britischen Gefängnis sucht – und dessen Mutter verzweifelt ob so viel ideologischen Starrsinn.
6. «Gosford Park» (2002)
Ein spätviktorianisches Sittengemälde von durchtriebenem schwarzen Humor: Der grosse Autorenfilmer Robert Altman inszenierte in einem seiner letzten Werke auf einem britischen Landsitz eine von Klassendünkel und Lust an der Intrige durchdrungene Wochenendgesellschaft. Der so reiche wie adlige Hausherr wird eines Abends plötzlich erstochen aufgefunden und schnell nivellieren sich die eingeübten Klassenschranken zwischen den gehobenen Herrschaften, den zugeladenen Neureichen und heimlichen Strippenziehern aus der Dienstgesellschaft.
Vertuschte Affären und uneheliche Söhne fliegen auf, Neid und Gier zerfressen die alteingeübten Anstandsregeln, und die eiserne Kommandantin der Hausangestellten, die resolute Mrs. Wilson (Mirren), zerbricht an der eigenen, lange verdrängten Familientragödie. Bissig und böse, aber ebenso bitter, wie die hervorragend gemimten Figuren in diesem Kammerspiel an den letztlich doch zu hoch gemauerten Standesschwellen scheitern.
7. «Woman In Gold» (2015)
Mirrens jüngste Hauptrolle arbeitet einen der bekanntesten Fälle der Raubkunstgeschichte fürs Kino auf: Maria Altmann, Jüdin und Erbin der Unternehmerfamilie Bloch-Bauer, flieht während der NS-Zeit aus Wien in die USA und lässt unter anderem das berühmte Klimt-Bild «Goldene Adele» zurück, ein Portrait ihrer Vorfahrin Adele Bloch-Bauer. Das Gemälde wird von den Nationalsozialisten konfisziert und geht später in den Staatsbesitz der Republik Österreich über.
Erst im hohen Alter und nach einem achtjährigen Justizkampf erhält Altmann 2006 das Gemälde – und fünf andere – zurück. Bis es soweit ist, müht sich die Erbin jedoch mit dem Starrsinn der nachfaschistischen österreichischen Bürokratie ab. Ein Raubkunst- und Justizkrimi von hoher Klasse, und gleichzeitig ein etwas überzeichnetes, jedoch von köstlichem Mief durchdrungenes Abbild der Nachkriegsjahrzehnte unserer östlichen Nachbarsrepublik, wo betreffend der NS-Vergangenheit lange Jahre der Gesetzbuchstabe Vorrang vor der historischen Verantwortung erhielt.