Hauchdünne Schweizer Niederlage gegen Europameister Deutschland

Vier Tage nach der ehrenvollen Niederlage in Slowenien verpasst das Schweizer Nationalteam einen Coup denkbar knapp und verliert in der EM-Qualifikation gegen Europameister Deutschland 22:23.

Der Schweizer Star Andy Schmid im Dreikampf mit zwei Deutschen (Bild: sda)

Vier Tage nach der ehrenvollen Niederlage in Slowenien verpasst das Schweizer Nationalteam einen Coup denkbar knapp und verliert in der EM-Qualifikation gegen Europameister Deutschland 22:23.

Die erstklassige Performance passte zum aussergewöhnlichen Rahmen: einmalig für nationale Handball-Verhältnisse. 10’040 Zuschauer füllten das Hallenstadion. Vor der Rekordkulisse der 67-jährigen Länderspielgeschichte hinterliess das Nationalteam den Eindruck, mittelfristig wieder vermehrt positiv in den Fokus rücken zu können.

Bereits in Slowenien hatten die Schweizer einen weitaus höher eingeschätzten Konkurrenten bis zur 40. Minute mit erheblichen Problemen konfrontiert. Drei Tage drängte die SHV-Auswahl den aktuellen Europameister gar an den Rand eines Punktverlusts. Erst nach Luka Maros‘ Fehlschuss Sekunden vor Schluss atmeten die Deutschen auf.

Innerhalb von wenigen Tagen demonstrierten die SHV-Talente, weshalb sich der Verband nach einer über zehnjährigen Dürreperiode von der Nationalmannschaft mittelfristig zu Recht einen markanten Leistungsschub erhofft. Die im Sommer praktisch neu formierte Equipe ist offenbar bereits jetzt in der Lage, an guten Tagen europäische Top-Teams in eine ungemütliche Lage zu manövrieren.

In beiden Halbzeiten liessen sich die Schweizer bei einer Angriffs-Effizienz von 52 Prozent während keiner Phase abschütteln. Auf einen temporären Viertore-Rückstand reagierten sie souverän mit einer Serie von perfekt einstudierten Angriffszügen. Und im Tor brillierte Nikola Portner nahezu ausnahmslos. Mit seinen 15 Paraden stellte der 22-jährige Montpellier-Professional den Kieler EM-Helden Andreas Wolff in den Schatten.

Nach dem wohl besten Heimspiel seit den erfolgreichen Neunzigerjahren standen die Verlierer nur mit Blick auf das Ergebnis mit leeren Händen da. Für ihren beherzten und beeindruckend konsequenten Auftritt bekamen sie von höchster Stelle Komplimente zu hören. «Hut ab vor dieser jungen Mannschaft. Es war nicht leicht, die Schweiz zu bremsen», befand der überraschte DHB-Selektionär Dagur Sigurdsson nach dem 60-minütigen Nervenkitzel.

Im Gegensatz zu den chancenlosen Portugiesen (24:35) verwickelte Suters taktisch perfekt eingestellte Ensemble die Bundesliga-Stars in einen spektakulären Abnützungskampf. Im Finish taumelte der Favorit, vier Minuten vor dem Ende und bis zum strengen Ausschluss von Pascal Vernier (58.) drohte Deutschland sogar der erste Fehltritt gegen die Schweiz seit 16 Jahren.

Immer wieder war in den Analysen deshalb beidseits von einem «Spiel auf Augenhöhe» die Rede. Nuancen waren ausschlaggebend, in zwei, drei Situationen verhielt sich der dreifache Weltmeister um eine Spur cleverer als der Herausforderer, der letztmals 1995 an einer WM teilgenommen hat und in der EM-Ausscheidung elfmal in Folge keinen Punkt mehr gewonnen hat.

Sie hätten viel Glück beansprucht, gab Sigurdsson unumwunden zu: «Wir waren richtig am Limit, die Schweizer verlangten uns alles ab.» Er habe «Gegenwind» gespürt, so der Isländer, und weitete seine Lobeshymne für den hartnäckigen Gegner noch um eine Dimension aus: «Ich sehe für beide Teams eine grosse Zukunft.»

Sigurdssons Worte freuten dessen Amtskollegen Suter selbstredend, aber überbewerten mochte er die höchst erfreuliche Momentaufnahme nicht: «Es war einfach gut, erneut zu sehen, was eigentlich möglich wäre, was auch bei uns abgehen könnte. Aber es war nur ein Spiel auf dem Weg in eine bessere Zukunft.»

Projektleiter Suter hat seit seiner Amtsübernahme vor acht Monaten auf allen Ebenen viel bewegt. Mental wirken die im Schnitt knapp 23-jährigen Schweizer wesentlich belastbarer. Grosse Aufgaben und Kulissen stimulieren sie offensichtlich. Das generell robustere Erscheinungsbild ist auch Andy Schmid aufgefallen: «Die Jungen zögern nicht, sie riskieren etwas, und in der Deckung stehen Männer. Das macht Mut!»

Die im internationalen Ranking abgestürzten Schweizer betrieben zur TV-Primetime Imagepflege. Das vom Verband bereits im Sommer als «Handball-Fest des Jahres» deklarierte Treffen mit der deutschen Prominenz wurde auf dem Parkett entsprechend umgesetzt – trotz der Niederlage.

Schweiz – Deutschland 22:23 (11:12)

Hallenstadion. – 10’040 Zuschauer (Rekordkulisse). – SR Dinu/Din (Rou). – Torfolge: 0:1, 1:2, 2:3, 3:4, 4:4, 4:8 (13.), 5:8, 5:9, 7:9, 7:10, 9:10, 9:11, 11:11 (29.), 11:12; 12:12, 13:13, 13:15, 14:15, 14:16, 15:16, 15:17 16:17, 16:18, 18:18 (45.), 18:19, 20:19 (47.), 20:20, 21:20, 21:21, 22:21, 22:22, 22:23 (59.). – Strafen: je 4mal 2 Minuten.

Schweiz: Portner; Schmid (5), Meister (1), Liniger (2), Tynowski (2), Vernier (2), Svajlen, Lier, Sidorowicz (1), Delhees (1), Von Deschwanden (2), Röthlisberger (1), Küttel (1), Maros (4).

Deutschland: Wolff/Heinevetter (ab 47.); Gensheimer (3), Lemke, Wiencek (2), Reichmann (2), Weinhold (4), Fäth, Häfner (1), Ernst (3), Kohlbacher (3), Drux (3), Pieczkowski (2), Weiss.

Bemerkungen: Schweiz ohne Rubin, Raemy (beide verletzt), Deutschland ohne Dahmke, Pekeler, Wiede (alle verletzt). Gensheimer schiesst Penalty gegen den Pfosten (14./5.8). Wolff hält Penalty von Liniger (15./5:8). Portner hält Penalty von Reichmann (33./12:12). Timeouts: Schweiz (43./15:17, 60./22:23), Deutschland (21./7:9, 53./21:20, 59./22:22).

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