Der stille Beatle hat der Popkultur nicht nur wunderschöne Balladen («Here Comes The Sun») und exotische Klänge vermacht («Within You Without You»): Er hatte auch einen wunderbaren Sinn für Humor. Im Andenken an George Harrison: Sieben Gründe, weshalb wir ihn nie vergessen sollten.
George Harrison. Von allen vier Beatles war er der stillste. Der meditativste. Der indischste. Der langhaarigste auch – und zweifelsfrei der bärtigste. Wir erinnern an den Songwriter und Sänger, der zwar im Schatten des übermächtigen Duos Lennon/McCartney stand, aber immer wieder mit brillanten Einfällen glänzte.
1. Within You Without You (1967)
Ein Lied, wie gemacht für einen Quiz-Abend: Nenne mir alle Lieder auf dem legendären «Sgt. Pepper’s»-Album. Wetten, dass diese Nummer hier am ehesten vergessen geht? Nicht weil sie schlechter ist. Sondern anders. Unaufdringlicher. Meditativer. Stehen hier doch nicht die Beatles-typischen Harmoniegesänge im Vordergrund, sondern die atmosphärisch-ätherischen Sounds. Schon ein Jahr zuvor hatte sich Harrisons Begeisterung für indische Musik in einem Song niedergeschlagen («Love You Too»). Die ursprüngliche Fassung von «Within You Without You» dauerte 30 Minuten. Eine lange, meditative Session, für die Harrison die Sitar zupfte und diverse indische Sessionmusiker anheuerte, die auf Tabla trommelten oder über die Saiten einer Dilruba strichen. Hinzu kamen klassisch geschulte Streicher. Damit degradierte er die anderen drei Beatles zu Statisten – und sorgte für einen prächtigen Klangtupfer auf dem Kultalbum. Grundsätzlich kann man sagen, dass es Harrisons Verdienst ist, die Räucherstäbchen in die Rockmusik eingeführt zu haben.
2. While My Guitar Gently Weeps (1968)
Ein starkes, zeitloses Stück Gitarrenmusik. Harrison musste immer wieder kämpfen, um seine Interessen bandintern durchzusetzen. So auch bei «My Guitar Gently Weeps», das mehrfach aufgenommen worden war. Erst als Harrison seinen Freund Eric Clapton bat, ins Studio zu kommen und ein Solo zu spielen, vermochte dieser Song die ganze Band zu überzeugen. Clapton zögerte übrigens zunächst, als ihn sein Freund anfragte: «Die Beatles brauchen doch keinen Gastmusiker!», soll er gesagt haben. Harrison überredete ihn. Was sich auch positiv aufs damals angespannte Bandklima ausgewirkt haben soll: «Alle rissen sich zusammen und bemühten sich, einen besonders guten Eindruck zu hinterlassen», sagte Harrison einst in einem TV-Interview. Die Mühe hat sich gelohnt. Ursprünglich auf dem «White Album» erschienen, ist «While My Guitar Gently Weeps» bis heute zum Mitheulen schön. Die Freundschaft zu Clapton wurde übrigens arg strapaziert, als dieser ihm die Frau Pattie Boyd ausspannte und in den 70er-Jahren ehelichte.
3. Something (1969)
Mein liebstes unter den zahlreichen Lieblingsalben, die mir die Beatles beschert haben: «Abbey Road». Ein vollkommenes, reifes Werk. Harrison schien bei diesem Endspurt regelrecht aufzublühen. Allein mit «Something» gelang ihm ein Meisterwerk. Was zart beginnt, führt in einen dramatisch gesteigerten, orchestralen Teil, ehe Tempo und Dynamik wieder gedrosselt werden. Eine eindringliche Ballade, mit der er sich nicht hinter Lennon/McCartney verstecken muss: Weder kompositorisch noch gesanglich. Ganz zu schweigen von der wunderbar singenden Gitarre, die das Leitthema angibt. Seufz. Ich wringe meinen Schal aus!
Selbst ein Crooner wie Frank Sinatra war tief beeindruckt und sprach vom «schönsten Liebeslied aller Zeiten.» Frankie nahm es in sein Live-Repertoire auf. Und war längst nicht der einzige Sänger: «Something» steht, das sagt zumindest Kollege Wikipedia, nach «Yesterday» an zweiter Stelle, was die Anzahl Coverversionen von Beatles-Songs angeht. Harrison selber soll besonders von James Browns Interpretation angetan gewesen sein. Und noch ehe die Beatles «Something» veröffentlicht hatten, brachte Joe Cocker eine Version auf den Markt – Harrison hatte ihm das Lied angeboten. Cockers Version ist im Unterschied zu jener von James Brown auch auf Youtube zu finden. Hier. Schön. Aber seien wir ehrlich: Während Cocker mit «With A Little Help From My Friends» die Beatles-Version übertraf, kommt er hier nicht an das Original heran. Einverstanden?
4. Here Comes The Sun (1969)
Ein weiterer Beatles-Klassiker. Und wie bei «My Guitar Gently Weeps» darf sich Eric Clapton auch hierfür auf die Schultern klopfen. Er hat zwar nicht Gitarre gespielt auf «Here Comes The Sun». Aber er bot Harrison Asyl, in einer Zeit, als diesem die vielen Business-Aspekte über den Kopf wuchsen. Die Beatles waren mit ihrem eigenen Unternehmen Apple heillos überfordert, täglich galt es, kaufmännische und vertragliche Entscheidungen zu fällen. Nicht das, was sich Harrison unter dem Musikerdasein vorgestellt hatte. Harrison floh aus dem Büro, zu Eric Clapton, wanderte dort im Garten herum, griff sich eine akustische Gitarre, zupfte hier, zupfte da. Und fertig war «Here Comes The Sun». Eine wunderbare Ballade mit neckischen Triolen-Variationen und im Studio verfeinert durch herrliche Moog-Sounds. Harrison spielte den Synthesizer gleich selber ein, Ringo und Paul bildeten die Rhythmussektion. Und Lennon? War in keiner Weise involviert. Er erholte sich zu dieser Zeit von einem Autounfall.
5. My Sweet Lord (1970)
Nach der Auflösung der Beatles liess der vernachlässigte Komponist Harrison die Beatles hinter sich: «All Things Must Pass» lautete der Titel seines Triple-Albums, ja, des ersten Triple-Albums der Popgeschichte überhaupt. Schlüsselsong darauf: «My Sweet Lord». Eine sanfte Hippie-Hymne voller Hallelujas und Hare Krishnas. Als Inspiration diente ihm nach eigenen Angaben die Gospelnummer «Oh Happy Day». Das sah ein Musikverlag anders, der Harrison des Ideenklaus bei der Frauenband The Chiffons bezichtigte: Tatsächlich klingt «My Sweet Lord» wie eine entschleunigte Version von ihrem 1963er-Hit «He’s So Fine». Nach jahrelangen Abklärungen einigte man sich auf einen Vergleich, der Harrison eine Million Pfund kostete. Harrison konterte 1976 mit Witz: Mit «This Song» voller Ironie einen Schlussstrich unter die Affäre. Im Videoclip verwandelte er einen Gerichtssaal in einen Hühnerstall und sang dazu Zeilen wie: «This song ain’t black or white and as far as I know don’t infringe on anyone’s copyright.» Ach, und wenn wirs schon von Selbstironie haben …
6. The Rutles (1978)
Auf keinen Fall darf vergessen gehen, wie humorvoll George Harrison war. So verband ihn eine enge Freundschaft mit Monty Python. Mit seiner Produktionsfirma Handmade Films finanzierte er etwa deren Kultfilm «Life Of Brian». Bester Beweis für seinen grossartigen Sinn für Humor und auch seine Selbstironie ist aber «All You Need Is Cash», ein Mockumentary über die Band The Rutles. Darin persiflieren Python-Mitglied Eric Idle und der Songwriter Neil Innes die Karriere der Beatles. Harrison unterstützte das Filmprojekt nicht nur finanziell, nein, er schlüpfte gar in die Rolle eines Reporters (hier anzuschauen). Herrlich
7. Handle With Care (1988)
Die Beatles waren nicht die einzige Supergruppe, in der George Harrison mitwirkte. 1988, Harrison hatte nach fünf Jahren Pause ein neues Studioalbum auf den Markt gebracht (das mit dem Cover «Got My Mind Set On You» einen feinen Hit enthielt), lechzte seine Plattenfirma nach einer weiteren Single. Und bat ihn, noch einmal ins Studio zu gehen. Harrison hatte nichts dagegen, Bob Dylan bot ihm Logis. Bald war auch Jeff Lynne (ELO) – der Harrison produziert hatte – zur Stelle, brachte Roy Orbison mit und zu diesem «Come Together» gesellte sich schliesslich auch noch Tom Petty. Innert 24 Stunden war unter der Federführung von Harrison gemeinsam ein Lied geschrieben, eingespielt und eingesungen: «Handle With Care». Das Quintett veröffentlichte den Song unter Pseudonymen und nannte sich Traveling Wilburys. Sie standen für das letzte grossartige Projekt, das George Harrison anriss. Am 29. November 2001 starb er an Krebs. Er wurde 58 Jahre alt. R.I.P., George.