«Herr Vasella, beseitigen Sie die Deponie definitiv»

Ein Vierteljahrhundert nach dem Grossbrand in Schweizerhalle bei Muttenz ist der Brandplatz noch immer nicht ganz saniert – trotz einer Vereinbarung, die der Kanton Basel-Landschaft Ende der Achtzigerjahre beschlossen hatte.

Schweizerhalle (Bild: Silvio Mettler)

25 Jahre nach Schweizerhalle fordern Politiker Novartis zum Handeln auf

Die Region kam mit einem Schock davon. 25 Jahre nach dem Grossbrand in Schweizerhalle bei Muttenz erinnert nichts mehr an die Katastrophe. Zumindest nichts Sichtbares. Der Brandplatz aber ist noch immer nicht ganz saniert – trotz einer Vereinbarung, die der Kanton Basel-Landschaft Ende der Achtzigerjahre beschlossen hatte.

Getan hat sich seither wenig – zu wenig, wie über zwanzig Politiker nun in einem Brief an Novartis-Chef Daniel Vasella schreiben: Noch immer würden jährlich bis zu 3,5 Kilo Schadstoffe ins Grundwasser gelangen. Von dort aus könnte das Gift auch 17 Jahre nach Abschluss der Aufräumarbeiten in den nahe gelegenen Trinkwasserbrunnen fliessen. Die Politiker – darunter die SP-Nationalräte Beat Jans und Susanne Leutenegger Oberholzer – fordern die San­doz-Nachfolgefirma Novartis nun auf, «die damaligen Vereinbarungen einzuhalten und die Deponie endgültig zu beseitigen».

Die Erfolgschancen sind gering. Der Standort werde einer altlastenrecht­lichen Neubeurteilung aufgrund einer Verordnung von 1998 unterzogen, schreibt Novartis auf Anfrage.

Das Problem: Die Verordnung ist weniger streng als die­ ursprünglichen Ziele, auf die sich die Politiker beziehen. Was die Behörden betrifft, so haben diese verlauten lassen: «Das Amt für Umwelt und Energie Basel-Landschaft beurteilt den Unfallstandort als belasteten Standort mit Überwachungsbedarf. Weitere Sanierungen sind gesetzlich nicht vorgeschrieben.» Für die Politiker ist klar: Die einstigen Vereinbarungen werden als ungültig erklärt und «die Industrie wird dafür b­elohnt, sich nicht daran gehalten zu haben». Entmutigen lässt sich die Politikergruppe aber nicht: «Wenn sich Novartis wieder aus der Verantwortung zieht, machen wir weiter Druck», sagt der grüne Landrat Jürg Wiedemann.

Noch grösser als jetzt waren die Proteste vor 25 Jahren: In der Woche nach dem Brand gingen bis zu zehn­tausend Menschen gegen die «Chemie­mafia» und die «chemiehörige Regierung» auf die Strasse. Bei einer Diskussion im Theater Basel wurden Sandoz-Vertreter und drei Regierungsräte angespuckt und mit toten Aalen beworfen. Dabei waren die ersten Reaktionen betont unaufgeregt.

Der Brand ändere nichts daran, dass der Wohlstand und die Bedeutung ­Basels auch künftig mit der chemischen und pharmazeutischen Industrie verbunden blieben, schrieb Hans-Peter Platz, damaliger Chef­redaktor der «Basler Zeitung». Doch schon während das Extrablatt mit dem wohlwollenden Kommentar noch im Druck war, zeigte sich das Ausmass der Katastrophe: Auf dem Rhein trieben Tausende toter Fische, gestorben an den Chemikalien, die in Schweizerhalle mit dem Löschwasser in den Fluss gespült wurden.

Sandoz hatte die Stoffe anfänglich noch als «ungefährlich» bezeichnet. Anstatt sich für die fatale Fehleinschätzung zu entschuldigen, behauptete die Firma nun, vom Fischsterben sei nur eine «besonders sensible Art» betroffen. Das glaubte schon zu diesem Zeitpunkt fast niemand mehr.

Einige Tage später wurde aus der Chemiekatastrophe endgültig auch eine Kommunikationskatastrophe, als ein Politiker der Grünen in Deutschland publik machte, die Zürich Versicherung habe bereits 1981 auf die Brandgefahren in den Sandoz-Lagern hingewiesen. Die einzige Konsequenz, die die Firma daraus zog, bestand in ­einem Wechsel zu einer weniger kritischen Versicherungsgesellschaft.

Anders als früher kam die chemische Industrie mit Beschwichtigungen nun nicht mehr durch. Dafür war zu viel passiert: die Chemiekatastrophe in Bophal, der Atom-Gau in Tschernobyl und der Brand in Schweizerhalle innert ­weniger Monate. Nun forderte man ­einen neuen Umgang mit Gefahren und Umwelt. Und tatsächlich: «Schweizerhalle» brachte in Sachen Gefahrenmanagement einiges in Gang.

Imageschaden statt Fest

Im Jahr 1986 wollte die Sandoz ­ihren 100. Geburtstag feiern. ­Aus dem Fest wurde nichts: ­Der Brand vom 1. November führte zu einem riesigen Imageschaden für Sandoz und die ganze Chemie. ­In Schweizerhalle verbrannten in der Kata­strophennacht 1200 Tonnen ­Chemikalien, 15 bis 40 Tonnen ­wurden mit dem Löschwasser in den Rhein gespült – unter anderem Quecksilber. Tausende Fische ­starben, Menschen blieben zum Glück verschont: Spätere Filter­unter­suchungen ergaben, dass durch den Grossbrand nur ­geringe Schadstoffmengen in die Luft ­gelangt waren.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26/10/11

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