Seit über 40 Jahren zornig, seit über 40 Jahren produktiv: Neil Young kehrt nach 2008 an die Foire aux Vins in Colmar zurück. Zum Vorglühen: ein Querblick durch das Schaffen des kanadischen «Godfather of Grunge».
Seit über 40 Jahren zornig, seit über 40 Jahren produktiv: Neil Young. Ein Querblick durch das Schaffen des kanadischen «Godfather of Grunge» – seine sieben bedeutendsten Songs.
1. «Hey Hey My My»
Man muss sich nur die ekstatischen Gesichter dieser Liveaufnahme von 1991 ansehen, um die Kraft dieser Hymne zu erkennen. «Hey Hey My My», erschienen 1979 auf seinem Erfolgsalbum «Rust Never Sleeps», hat ein krachendes Riff, einen schneidigen Gesang und vor allem Textzeilen, die man mitschreien muss: «Rock’n’Roll Can Never Die» oder «The King Is Gone But He’s Not Forgotten». Die bekannteste stimmt hingegen vom akustischen Gegenstück «My My Hey Hey» vom selben Album: «It’s Better Tu Burn Out Than To Fade Away» – die letzten Zeilen aus dem Leben von Nirvana-Sänger Kurt Cobain. Er schrieb sie in seinen Abschiedsbrief, bevor er 1994 Selbstmord beging. Young, der wegen den Lärmorgien seiner Band Crazy Horse als «Godfather des Grunge» gilt, war davon erschüttert. Seither singt er, in Erinnerung an Cobain, eine weitere Schlüsselzeile des Songs besonders deutlich: «Once You’re Gone You Can’t Come Back».
2. «Heart Of Gold»
Ein Herz aus Gold besingt Young hier, tatsächlich ist es eine Goldgrube: «Heart Of Gold» erschien vor über vier Jahrzehnten auf seinem bedeutendsten Album «Harvest», und bis heute ist das Lied mit der markanten Mundharmonika-Melodie sein einziger Nummer-Eins-Hit geblieben. «Heart Of Gold» ist längst eingegangen in das Songbook der grossen amerikanischen Folksongs und wurde von den Grössten des Genres gecovert – von Johnny Cash bis Willie Nelson. Dass der Song jedoch auch ausserhalb von Folk und Country ein Evergreen ist, beweisen kuriose Interpretation in den verschiedensten Untiefen des Pop: Boney M, Roxette und sogar der unverwüstliche James Last haben sich daran versucht.
3. «Rockin‘ In The Free World»
Dieser Stampfer aus den Achtziger Jahren schreit danach, missverstanden zu werden. «Rockin‘ In The Free World» erschien 1989, am Ausgang des Kalten Krieges, und klingt mit seinem etwas dumpfen Refrain wie eine Durchhalteparole aus dem glorreichen Amerika an den Rest der Welt – und ist damit dem Schicksal von Bruce Springsteens «Born In The U.S.A» vergleichbar. Denn von Springsteen, erst recht aber vom Kanadier Young, gibts keine plumpen patriotischen Fanfaren auf das Land Of The Free zu hören. «Rockin‘ in The Free World» ist ein Statement Youngs zur Präsidentschaft des Republikaners George H.W. Bush, der 1988 als 41. Präsident der USA gewählt wurde. Young reflektiert darin die sozialen Probleme Amerikas, besonders drastisch geschildert in einer Strophe, die von einer jungen Frau handelt, die ihr neugeborenes Baby heimlich nachts in einer Mülltonne «entsorgt», besungen in den Zeilen: «There’s one more kid that will never go to school / Never get to fall in love, never get to be cool.» Und danach, trotzdem: «Keep on rockin‘ in the free world.» Bissig ist er bis in die Gegenwart geblieben, der unverwüstliche Young. Coverversionen gibt es natürlich auch von diesem Brocken zuhauf, eine gute stammt sogar aus der Region.
4. «Like A Hurricane»
Dieser Klassiker beginnt seltsam sprunghaft, und das hat seine Gründe: Neil Young, der sowieso der Ansicht ist, seine Stimme tauge nicht zum Singen, kam damals, 1974, von einer Stimmbänder-Operation zurück und brachte seiner Band Crazy Horse die Idee dieses Songs mit. Weil seine Stimme nicht mehr als einen Probeversuch mitmachen würde, liessen sie während des Jams das Band gleich mitlaufen. Am Ende hatten sie einen viertelstündigen Brocken, von dem nur noch die völlig verwackelten Teile weggeschnitten werden mussten. Danach blieben noch immer acht Minuten voller ausufernder Gitarrenorgien übrig. So wie der Song heisst, klingt er auch, und «Like A Hurricane» steht sinnbildlich für die Aufnahmepraxis von Neil Young, der ausufernde Basteleien in der Postproduktion verabscheut und dafür lieber die rohe Kraft des Moments festhält.
5. «Cowgirl In The Sand»
Noch so ein Trip, der kein Ende finden mag: «Cowgirl In The Sand» gehört nicht nur zu den besten Gesangsleistungen von Neil Young, sondern zelebriert das selbstvergessene Gitarrenspiel, bis die Verstärker rauchen. Der Song basiert zu weiten Teilen einzig auf zwei Akkorden, in denen Young jedoch einige seiner tiefschürfendsten Exkursionen in die Experimentalräume verzerrter Gitarren unternimmt. Ein wahrhaft psychedelischer Trip, dazu noch ein Text der je nach Lesart von der Anbetung der Promiskuität handelt – wahrlich ein aufrichtiges Zeugnis aus dem Jahr 1969.
6. «After The Gold Rush»
Das Gegenstück zu Wütereien wie «Cowgirl In The Sand» bildet diese feinfühlige, erhabene Klavierballade, zu der kaum mehr als Youngs (zugegebenermassen an ihre Grenze stossende) Stimme und etwas Blasmusik gehört. «After The Gold Rush» gibt eine Ahnung der Arrangement-Fähigkeiten Youngs, die wenige Jahre später auf «Harvest» orchestrale Dimensionen erringen sollten. Das zarte Stück hat einen derart hohen Rührungsgrad, dass Falsettkönner wie Radiohead-Sänger Thom Yorke fast nicht drum herum kamen, sich dessen anzunehmen, aber auch sonst gehörte «After The Gold Rush» eine Weile lang ins Standardrepertoire verschiedener Meisterstimmen wie Tori Amos oder Emmy Lou Harris – und auch des Pin-Up-Girls des Country, Dolly Parton. Die fragte einst bei Neil Young nach, was der bildhafte, allegorische Text eigentlich aussagen wolle. Seine Antwort war: «Keine Ahnung, ich habe es einfach geschrieben. Es hing davon ab, was ich damals gerade eingeworfen hatte. Wahrscheinlich zu jeder Strophe etwas anderes.»
7. «Let’s Impeach The President»
Eine seiner jüngeren Arbeiten, die belegt, dass der Meister auch im Alter nichts von seinem Biss verloren hat. In «Let’s Impeach The President» aus dem Jahr 2006 kratzt die Gitarre wie in den Siebziger Jahren, und Young kläfft erneut zornig einem Präsidenten entgegen – diesmal George Bush dem Jüngeren. Der Song steht sinnbildlich für das Protestsong-Kompendium «Living With War», das Young als Reaktion auf die Entwicklung der US-Invasion im Irak 2003 geschrieben hatte – und für das er vom Musik-Establishment der USA gleich drei Grammy-Nominierungen erhielt. Young verkörperte hier – wie auch sechs Jahre später in seinem Geschichtswerk «Americana», in der er einige Säulen des amerikanischen Liedguts derart weichklopft, bis ihr verschütteter aufrührerischer Kern zutage tritt – eine künstlerische Haltung, die nichts an Notwendigkeit verloren hat, er jedoch in der zeitgenössischen Musik kaum mehr erblickte: kritische Querulanz. «Ich hatte gehofft, dass einige Junge auftauchen würden, die dasselbe zu sagen hätten und Songs darüber singen würden, aber es kam keiner, und so tat ich es selbst. Ich habe solange gewartet, wie ich konnte.» Möge seine Geduld weiterhin kurz bleiben.