«Hirnschrittmacher» gegen Sucht

Die tiefe Hirnstimulation, die bereits gegen verschiedene psychische und neurologische Leiden zum Einsatz kommt, könnte möglicherweise auch die Kokain-Abhängigkeit wirksam behandeln. Dies berichten Genfer Forscher im Fachblatt «Science».

Eine Röntgenaufnahme von implantierten Elektroden (Archiv) (Bild: sda)

Die tiefe Hirnstimulation, die bereits gegen verschiedene psychische und neurologische Leiden zum Einsatz kommt, könnte möglicherweise auch die Kokain-Abhängigkeit wirksam behandeln. Dies berichten Genfer Forscher im Fachblatt «Science».

Die zerebrale Tiefenstimulation wurde vor fast 30 Jahren von Pierre Pollak, heute Professor am Departement für Klinische Neurologie an der Universität Genf und Chefarzt der Neurologie am Genfer Universitätsspital (HUG), mitentwickelt. Das Verfahren wird mittlerweile bei rund 100’000 Personen erfolgreich angewendet, auch in der Schweiz.

Von den Gesundheitsbehörden ist die tiefe Hirnstimulation weltweit vor allem zur Behandlung der Parkinson-Krankheit zugelassen. Die umgangssprachlich oft als «Hirnschrittmacher» bezeichnete Methode stimuliert bestimmte Hirnstrukturen mit einem leichten elektrischen Impuls.

Allerdings fehlt es der Technik noch an Präzision: So ist es nicht möglich, gezielt einzelne Zellen zu stimulieren und gleichzeitig ihre unmittelbaren Nachbarzellen zu verschonen. Die Neurowissenschaftler der Universität Genf haben versucht, die Methode zu verbessern, um das Suchtverhalten von Mäusen zu unterdrücken.

Mäuse von Kokain entwöhnt

Mäuse, denen Kokain injiziert wurde, zeigen normalerweise schon nach zwei Behandlungen ein auffälliges Bewegungsmuster. Die Forschenden unterzogen die auf Kokain gesetzten Versuchstiere anschliessend einer tiefen Hirnstimulation, die aber keine Wirkung zeigte.

In einem zweiten Schritt wiederholten die Wissenschaftler die zerebrale Tiefenstimulation. Dieses Mal gaben sie den Mäusen aber zusätzlich ein Medikament, das die Dopaminrezeptoren hemmt. Die Behandlung wirkte: Die Mäuse waren vom Kokain desensibilisiert und verhielten sich wieder normal.

«Der Grund dafür, dass die elektrische Stimulation alleine nicht genügt, liegt in ihrer mangelnden Präzision», wird Meaghan Creed, Erstautorin der Studie, in einer Mitteilung der Universität Genf vom Donnerstag zitiert. Weil das Kokain die Leistungsfähigkeit der Synapsen erhöhe, müsse man diese irgendwie beruhigen, um den Normalzustand herzustellen.

Nur aktiviert die elektrische Stimulation auch die Dopaminrezeptoren, was wiederum die Normalisierung der Synapsennetzwerke verhindert. Die medikamentöse Hemmung dieser Rezeptoren erlaubt demnach die viel zielgerichtetere Anwendung der tiefen Hirnstimulation.

Neue Anwendungsgebiete

«Die Kombination dieser zwei Elemente ist eine Premiere, die der zerebralen Tiefenstimulation ganz neue und breitere Anwendungen eröffnet», betont der Genfer Medizin-Professor Christian Lüscher. Denkbar sei etwa die Behandlung von Depressionen, Zwangsstörungen oder gewissen Formen von Schizophrenie.

Für die Forschenden der Universität Genf geht es nun aber zuerst darum zu zeigen, dass die bei Mäusen beobachtete Wirkung der tiefen Hirnstimulation auf Primaten und vielleicht auch auf Menschen übertragbar ist.

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