Der grassierende Populismus geht nicht nur die Politik, sondern die gesamte Gesellschaft etwas an. Das war die Kernbotschaft des britische Historikers und Harvard-Professors Timothy Garton Ash in seiner Rede am Swiss Economic Forum (SEF) in Interlaken.
Laut Ash ist die heutige Welt durch vier grosse Veränderungen gekennzeichnet. Erstens leben wir im Anthropozän, dem ersten Zeitalter überhaupt in dem die Menschheit durch Umweltverschmutzung und Bevölkerungswachstum die Zukunft des Planeten gefährdet.
Zweitens werden die Gesellschaften durch die Globalisierung geprägt. Die moderne Globalisierung, die etwa um 1980 begann und seit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 so richtig Fahrt aufgenommen hat, kennzeichnet sich demnach durch einen weltweiten Strom von Menschen, Kapital und Gütern.
Digitale Revolution erst am Anfang
Drittens ist die digitale, technologische Revolution in vollem Gang. Als Beispiel nannte Ash das Smartphone, das wohl praktisch alle im Saal in der Tasche hätten. Dieses Zauberkästchen, wie er es nannte, ermögliche uns unmittelbar mit der Hälfte der Menschheit zu kommunizieren.
Die Welt sei dadurch zu einer einzigen grossen Stadt geworden, in der wir alle Nachbarn seien. Bei der digitalen Veränderung stünden wir allerdings erst am Anfang. Mit der Einführung der künstlichen Intelligenz werde in Zukunft wohl das Smartphone den Vortrag für ihn halten können, witzelte Ash.
Populismus versus Globalisierung
Doch auch den zunehmenden Populismus bezeichnete der Bestseller-Autor als eine der aktuellen Veränderungen. Populismus sei eine Bewegung, die bewusst gegen die Globalisierung arbeite. Seit 2004 habe die Zahl der demokratischen Staaten weltweit von 117 auf 90 abgenommen. In 105 Ländern habe die Freiheit Rückschritte gemacht.
In mehreren Ländern, darunter in den USA, Russland und Indien, seien antiglobale Konterrevolutionen im Gang. Für den Historiker ist diese Entwicklung ein Zeichen dafür, dass die rechtliche, politische und moralische Globalisierung der wirtschaftlichen Globalisierung hinterherhinkt.
Kollektives Handeln nötig
Vor dem Hintergrund dieser grossen Veränderungen sei der Bedarf an kollektivem Handeln grösser denn je, sagte Ash. Es sei nicht genug, nur die Wirtschaft im Auge zu haben. Die einseitige Fokussierung auf das ökonomische Handeln sei einer der Gründe für den gewachsenen Populismus, der in Grossbritannien etwa viele Labour-Wähler in die Arme von Nigel Farage und den Brexit-Befürwortern getrieben habe.
Zum Schluss seiner Rede richtete Ash einen dringlichen Appell an die Anwesenden im Saal. Alle müssten mithelfen, die liberale Ordnung zu verteidigen. Es reiche nicht, wenn nur die Politik diesen Kampf annehme. Auch die Wirtschaftsvertreter müssten dem Populismus entschieden entgegentreten.