Einst wollte er verärgert aus der Nationalmannschaft abreisen. Inzwischen hat ihn Vladimir Petkovic zum Spielmacher gemacht. Blerim Dzemaili erfreut sich einer Hochform, während andere im Club auf der Bank sitzen – oder gar nicht erst auf dem Matchblatt stehen.
Wenige Tage vor dem Heimspiel gegen Lettland ist im Camp der SFV-Auswahl am Lac Léman eine Basis auszumachen, die auf eine ansprechende Fortsetzung der WM-Qualifikation hoffen lässt – eine perfekte Ausgangslage, ein gelassener Coach, ein Regisseur in Bestform.
Nur eine Problemzone ist nicht zu unterschätzen: Diverse Nationalspieler spielen im Club zurzeit keine Rolle; Xherdan Shaqiri ist nur einer davon.
Die Ausgangslage und das Potenzial
Die Schweiz ist mit vier Siegen in Serie gestartet. Das 2:0 zum Auftakt gegen den Europameister Portugal war ein Signal an die Konkurrenz und zugleich die Bestätigung der jahrelangen Fortschritte.
Die SFV-Auswahl ist nicht nur in der Gruppe B vorzüglich positioniert (» Tabelle), sondern auch im gesamten internationalen Vergleich. Im Fifa-Ranking, dessen Bedeutung gering ist, war sie in den letzten 36 Monaten vorwiegend in den Top 12 klassiert – vor den früheren Welt- und Europameistern Italien, England und den Niederlanden.
«Vieles ist entspannter, ich spüre eine sehr positive Grundhaltung» – Nationaltrainer Vladimir Petkovic (Bild: Keystone/CYRIL ZINGARO)
Die Konstanz der Schweizer in einem schwierigen Milliarden-Markt mit global ausgerichteten Playern, die enorme wirtschaftliche Pipelines anzapfen und auf gewaltige personelle Ressourcen zurückgreifen können, ist imposant, der Trend hält an. Seit der EM 2004 hat die Schweiz nur ein Turnier (2012) verpasst. Köbi Kuhn, Ottmar Hitzfeld und Vladimir Petkovic haben das Nationalteam in der europäischen Spitze etabliert.
Einzig an der Endrunde gibt es Potenzial zur Steigerung. Mehr als ein Achtelfinal war nie zu schaffen.
Der Coach und die Entspannung
Er hat schon manche Charme-Offensive unternommen und versucht, einer breiten Öffentlichkeit Einblick in seine vielschichtige Gedankenwelt zu gewähren. Italienisch, Deutsch, Französisch: Vladimir Petkovic, ein Kosmopolit mit familiären Wurzeln in Sarajevo, spricht die Sprache der Schweizer – verstanden haben ihn trotzdem lange nicht alle.
Blerim Dzemaili und die Nationalmannschaft, das war im Prinzip schon immer eine Herzensangelegenheit. Aber eben auch eine Verbindung mit Missverständnissen, Enttäuschungen, Schmerzen, Frust, Wutausbrüchen.
Doch der Wind hat gedreht, die anfänglichen Irritationen verflüchtigten sich. Das Kerngeschäft floriert, die Performance an der EM in Frankreich stellte die kritischen Beobachter zufrieden, die Fans äusserten sich mehrheitlich positiv.
«Vieles ist entspannter, ich spüre eine sehr positive Grundhaltung.» Dem sensiblen Nationalcoach tut der Zuspruch gut, die weichen Faktoren sind für ihn nicht unerheblich. Eine weitere Vertragsverlängerung dürfte für den Verband und den Selektionär zeitnah zum Thema werden. Petkovic lehnt sich in Lausanne zurück und lächelt: «Die Richtung stimmt.» Ein Dementi tönt anders.
Der Spielmacher und ein Bestwert
Blerim Dzemaili und die Nationalmannschaft, das war im Prinzip schon immer eine Herzensangelegenheit. Aber eben auch eine Verbindung mit Missverständnissen, Enttäuschungen, Schmerzen, Frust, Wutausbrüchen. Immer wieder war der Zürcher ambitioniert eingerückt und desillusioniert abgereist.
Einmal musste ihn der Manager davon abhalten, das Camp im verletzten Stolz vorzeitig zu verlassen. Im letzten Sommer die grosse Wende, der späte Schulterschluss, der Happy-End-Moment: Petkovic formte den Bologna-Professional zum Spielmacher um, der 30-Jährige blühte auf.
Blerim Dzemaili nach einem seiner Tore in Italiens Serie A. (Bild: Keystone/GIORGIO BENVENUTI)
Das Hoch hält an. In Italien hat er in 29 Partien neun Treffer erzielt – ein persönlicher Bestwert. Er sei in der Form seines Lebens, liess der 55-fache Internationale via Boulevard ausrichten.
Sollte er im achten Serie-A-Jahr auf diesem Level fortfahren, müsste er den Ende Saison geplanten Transfer zu Montreal Impact eigentlich verschieben. In der Major League Soccer würde er zu früh vom Radarschirm verschwinden.
» Im Kurzinterview: Blerim Dzemaili über seine aktuelle Form und Zukunftsaussichten
Die Problemzone und Shaqiri
Trotz der makellosen Tabellenlage und der allgemein hohen Kreditwürdigkeit der Schweizer Equipe sind ein paar Kontrastpunkte auszumachen. Über die Hälfte der nominierten Feldspieler aus den ausländischen Ligen können für sich im Club keinen Stammplatz in Anspruch nehmen.
Nur mit Verletzungspech und unvorteilhaften Vertragsverhandlungen ist die ungünstige Situation vieler SFV-Vertreter nicht zu erklären. Das Innenverteidiger-Duo Johan Djourou (Hamburg) und Fabian Schär (Hoffenheim), in der Bundesliga nur noch zweite oder dritte Wahl, ist Teil der prominenten Problemzone.
Lachen beim Zusammenzug der Nationalmannschaft – eine Wohlfühloase für Fabian Schär. (Bild: Keystone/CYRIL ZINGARO)
Der Fraktion der vielen Überzähligen gehört auch ein ehemaliger Champions-League-Sieger an: Xherdan Shaqiri, 25, ehemals in München ein Talent mit der ganz grossen Zukunft im Kopf, dann bei Inter Mailand im Rekordtempo von der Ideallinie abgekommen, nun in der englischen Mittelklasse bei Stoke City angelangt.
Seit sieben Runden fehlt sein Name auf dem Matchblatt. «Es ist schwierig mit Xherdan», übermittelte der Trainer-Assistent Mark Bowen den lokalen Medien. Er habe wegen entzündeter Waden Trainingsrückstand.
Shaqiri selber soll sich für fit genug gehalten haben zu spielen. Petkovic hat ihn aufgeboten – womöglich auch, um die Reha-Phase des Schweizer Topskorers besser kontrollieren zu können.
Auftritt Xherdan Shaqiri – in der Nationalmannschaft einer der grossen Figuren, im Verein seit Längerem nicht mehr im Einsatz. (Bild: Keystone/CYRIL ZINGARO)