Am Donnerstag nehmen an der WM in der Sierra Nevada die Snowboarder ihr Pensum auf. In der ersten von sieben Medaillen-Entscheidungen ist (noch) nicht mit einer Schweizer Topklassierung zu rechnen.
Die ungewohnt hohen Temperaturen in der Höhe Südspaniens schaffen in diesen Tagen nicht gerade jene Eindrücke für TV-Übertragungen, die Imagewerbung für die Sierra Nevada wären. 14 Grad auf 2500 Meter über Meer und eine feine Schicht Saharastaub lassen die Anlagen in einem bräunlichen Farbton «erstrahlen». «Es sieht nicht sehr winterlich aus. Aber», hält Sacha Giger, der Snowboard-Chef von Swiss-Ski fest, «die Organisatoren haben aus den Möglichkeiten sehr, sehr viel gemacht. Die Infrastruktur ist auf hohem Niveau.»
Gerade für die Slopestyler, die am Donnerstag die Ausscheidung für die Halbfinals und den Final vom Samstag bestreiten, stellt der weiche Schnee kein Problem dar. Eher ist eines, dass mit Moritz Thönen der mutmasslich hoffnungsvollste Slopestyler von Swiss-Ski wegen einer Fersenprellung zumindest in dieser Disziplin auf die Teilnahme verzichten muss. «Wir wären vorher schon nicht Topfavoriten gewesen. Jetzt sind wir es erst recht nicht mehr», so Giger. Bei den Frauen zählt aus dem Schweizer Quartett primär Sina Candrian zu den Anwärterinnen auf einen Podestplatz.
Ohne White und Hirano
Derweil im Slopestyle die besten Kanadier derzeit an den X-Games Oslo weilen und sich die Teilnahme folglich mit jener an der WM überschneidet, ist die Weltelite in der Halfpipe bis auf zwei Ausnahmen lückenlos vertreten. Bei Shaun White geniessen die Titelkämpfe nicht erst seit der triumphalen Rückkehr als Siegfahrer am US Open keine Priorität. Die Rennsaison des Superstars aus Kalifornien ist seit dem letzten Samstag beendet. Eine Kampfansage an die Konkurrenz für die kommende Saison gab der zweimalige Olympiasieger noch im Zielraum in Vail ab: «Ich werde noch stärker zurückkommen. Und ich habe vor, bis 2022 zu fahren.»
Auch für Medaillen-Kandidat Ayumu Hirano ist die Saison vorbei, für den Japaner allerdings unfreiwillig. Das sehr sprungstarke Talent erlitt bei einem Sturz im zweiten Finallauf des US Open eine schwere Verletzung der Leber. Offenbar konnten innere Blutungen beim Olympia-Zweite von Sotschi rechtzeitig gestoppt werden.
In Abwesenheit des Duos wären Schweizer Medaillen erst recht keine Überraschung, ebenso wenig ein Sieg des in dieser Saison kaum zu bezwingenden australischen Titelverteidigers Scotty James.
Starkes Schweizer Quartett
Teamleader Iouri Podladtchikov ist eine Topklassierung an einem Grossanlass wie so oft in den letzten Jahren zuzutrauen. Der Olympiasieger von 2014 hat in jeder der letzten sechs Saisons an mindestens einem Wettkampf von grosser Wichtigkeit einen Podestplatz erreicht. Dass es am US Open, der WM-Hauptprobe, nicht zu Rängen im ersten Drittel der Rangliste gereicht hat, war Giger in der Nachbetrachtung egal. «Nur fünf von zehn Finalisten haben einen guten Lauf geliefert. Was bei Hirano passiert ist, haben wir mit eigenen Augen gesehen. Insofern bin ich froh, dass unsere Fahrer nicht ‚all in‘ gegangen sind.»
Neben Podladtchikov, dem WM-Vierten im Regen von Kreischberg 2015, darf auch von Pat Burgener, David Hablützel und Jan Scherrer einiges erwartet werden. «Eine Medaille wäre im Hinblick auf die Olympia-Qualifikationsphase ein gutes Argument», sagte Giger. Im WM-Wettkampf in der vermutlich weichen Halfpipe dürfte der Faktor Taktik einiges ausmachen. «Die Olympia-Runs haben wir in Pyeongchang bereits simuliert.» Das würde in der weniger langen und breiten Pipe der Sierra Nevada kaum funktionieren.
Neben dem Halfpipe-Kräftemessen bieten die Parallel-Rennen der Alpinen die mutmasslich beste Chance, die etwas magere WM-Bilanz von 2015 (Gold und Bronze im Big Air der Frauen durch Elena Könz und Sina Candrian) zu überbieten. Nevin Galmarini und Dario Caviezel sind valable Kandidaten, ebenso Patrizia Kummer, Julie Zogg oder Ladina Jenny bei den Frauen. Das Team, dem Kaspar Flütsch seit anderthalb Monaten wegen einer Fussverletzung fehlte, zeigte in den letzten Wochen klare Aufwärtstendenz. Möglich ist aber im positiven wie negativen Sinne alles. Die Beschaffenheit der eher flachen Piste lässt auf eine «Materialschlacht» und volles Risiko bereits in der Qualifikation schliessen.
Big Air und Boardercross schwer auszurechnen
Unberechenbar ist die Situation im Big Air. Jonas Bösigers 2. Rang beim Weltcup in Mönchengladbach lässt erahnen, was im Optimalfall möglich wäre. Im Snowboardcross befindet sich das Schweizer Team seit längerer Zeit in einer Umbauphase. Von den vermutlich jüngsten WM-Teilnehmern der Disziplin, dem Junioren-Weltmeister Kalle Koblet und von Alexandra Hasler, dürfen deshalb keine Exploits erwartet werden. Ihre Perspektiven werden die WM 2019 und die Olympischen Winterspiele 2022 sein. Koblet bestreitet in der Sierra Nevada mit Tim Watter am 13. März den Team-Wettkampf.