Als erster Präsident Frankreichs hat François Hollande in aller Deutlichkeit die Grausamkeit der französischen Kolonialherrschaft über Algerien eingestanden. Das nordafrikanische Land habe sich 132 Jahre lang einem „zutiefst ungerechten und brutalen System“ unterwerfen müssen.
Bei einem Staatsbesuch in Algier sagte Hollande am Donnerstag weiter, die Kolonisation habe dem algerischen Volk viel Leid zugefügt. Algerien hatte 1962 die Unabhängigkeit erklärt. Vorausgegangen war ein achtjähriger blutiger Befreiungskrieg mit Hunderttausenden Toten. Die Vergangenheit belastet die Beziehungen beider Länder bis heute.
Ein halbes Jahrhundert nach dem Unabhängigkeitskrieg wollen Frankreich und Algerien nun ihre bilateralen Beziehungen normalisieren.
Grundlage dafür müsse es allerdings sein, die „Wahrheit“ auszusprechen, sagte Hollande weiter. Dazu gehöre die Anerkennung von „Ungerechtigkeiten“, „Massakern“ und „Folter“. Wie Frankreichs Ex-Präsident Jacques Chirac im Jahr 2005 nannte er das Massaker von Sétif im Mai 1945, doch verwies er noch auf zwei weitere Massaker.
In Teilen der algerischen Presse und bei Abgeordneten wurde dies positiv aufgenommen; Hollande wolle sich zwar nicht entschuldigen, bittere Wahrheiten aber auch nicht länger verschweigen, hiess es in Algier.
Hollande und sein algerischer Amtskollege Abdelaziz Bouteflika unterzeichneten bereits am Mittwochabend eine Freundschafts- und Kooperationserklärung. Sie sieht unter anderem eine verstärkte politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit vor.
Visa-Erleichterungen
Hollande kündigte an, dass er sich für Visa-Erleichterungen für algerische Studenten, Unternehmer, Künstler oder Familienangehörige einsetzen werde. Zugleich regte er eine Art Studentenaustausch-System für die Mittelmeer-Nachbarn nach dem europäischen Erasmus-Modell an.
Hollande war von einer grossen Delegation mit Ministern und Unternehmern begleitet worden. Während des zweitägigen Besuchs wurden mehrere Abkommen geschlossen.
Der französische Autokonzern Renault unterzeichnete ein Abkommen über ein Joint Venture zum Bau eines Werkes in der westalgerischen Stadt Oran. Dort sollen jährlich bis zu 75’000 Fahrzeuge hergestellt werden.
Motor für Mittelmeerstaaten
Mit Algerien könne das gleiche gelingen wie mit Deutschland, sagte Hollande am Donnerstag in seiner Rede vor dem algerischen Parlament. Paris und Berlin seien nach einem tragischen Krieg der Motor der europäischen Einigung geworden. Mit Algerien könne Frankreich den Motor für die Einheit der Mittelmeerländer werden.
Ein echter Freundschaftsvertrag war von Frankreich unter Präsident Jacques Chirac geplant worden. Der Text war bereits vom Parlament verabschiedet, doch in Algerien gab es heftigen Protest, weil darin auch von positiven Seiten der Kolonialzeit die Rede war. Chiracs Nachfolger Nicolas Sarkozy verfolgte das Projekt dann nicht weiter.