In seiner Eröffnungsrede am WEF in Davos hat Bundespräsident Johann Schneider-Ammann dazu aufgerufen, angesichts von Konflikten, Terror und Flüchtlingsströmen nicht in Resignation zu verfallen. US-Vizepräsident Joe Biden hielt derweil eine Hommage auf den Mittelstand.
Biden warnte vor den Gefahren der vierten industriellen Revolution. Diese ist Hauptthema des diesjährigen Weltwirtschaftsforums (WEF).
Dass die Wirtschaft 4.0 unsere Gesellschaft umformen werde, stellte der US-Vizepräsident ausser Frage. «Die digitalen Fortschritte hatten bereits drastischen Einfluss auf unser Leben», sagte Biden. Nun stelle sich aber die Frage, ob dadurch die Welt besser oder schlechter werde.
Bei den vergangenen Revolutionen hätten sich die Veränderungen für die Gesellschaft ausbezahlt. «Mein Instinkt sagt mir aber, dass dies mit der Wirtschaft 4.0 schwieriger wird», äusserte sich der Demokrat pessimistisch.
Er bezeichnete die Mittelklasse als «das Gewebe, das die Gesellschaft zusammenhält». Ein Arbeitsplatz sei mehr als ein Lohn – es gehe um den Platz in der Gesellschaft, um Würde.
Auch Gefahr für Sicherheit
Die Grundfrage für die Zivilgesellschaft laute deshalb: «Wie können wir dafür sorgen, dass die Mittelklasse nicht weiter ausgehöhlt wird?» Denn bereits in den vergangenen Jahren habe sich eine Lücke ergeben zwischen Gewinnen und Löhnen.
Biden stellte einen Katalog vor, um die negativen Folgen der wirtschaftlichen Veränderungen für die Mittelklasse abzufedern. Er warnte: «Ich werde mich damit hier vermutlich nicht beliebt machen.»
So forderte er, dass alle Länder progressive Steuersysteme bräuchten; jeder solle einen verhältnismässig fairen Anteil zahlen müssen. Weiter verlangte er den verstärkten Kampf gegen Steuerhinterziehung, Bildung für alle und einen Grundschutz für alle Arbeitnehmer.
Der Zerfall des Mittelstands sei nicht nur eine Bedrohung für die Weltwirtschaft, sondern auch für die weltweite Sicherheit, sagte Biden. Menschen reagieren mit Furcht und Wut auf den Verlust des Arbeitsplatzes, was ein Nährboden für Extremismus sei. Dies berge schliesslich die Gefahr des Zusammenbruchs des gesamten Systems.
Verantwortung für Freiheit
Um dies zu verhindern, sei Entschlossenheit gefragt, sagte Bundespräsident Johann Schneider-Ammann, der vor der Rede Bidens zu den WEF-Teilnehmern gesprochen hatte. Arbeit für möglichst viele Menschen sei die Grundlage moderner Gesellschaften.
Dafür brauche die Wirtschaft Freihandel, flexible Arbeitsmärkte und Wirtschaftsfreiheit. Sie brauche funktionierende Infrastrukturen, ein hohes Bildungsniveau, soziale Sicherheit und Innovation.
Damit sei das Unternehmertum auf starke Staaten und Institutionen angewiesen und auf eine Politik, die wieder mehr ermögliche statt immer mehr zu verbieten, sagte der freisinnige Bundespräsident. Der Preis für diese Freiheit sei Verantwortung.
«Welt war selten so zerrissen»
Die Fähigkeit, mit Wandel umzugehen, sei oft die Fähigkeit, auf revolutionäre Entwicklungen evolutionäre Antworten zu geben. Schneider-Ammann sprach in seiner Rede die Brüche an, die damit einhergehen können. Die Welt sei nie näher beisammen gewesen, aber selten so zerrissen. Kulturen würden verschmelzen, als Gegenbewegung entstünden Fundamentalismus und Hass.
Der Nährboden für Unversöhnlichkeit seien oft Gegensätze. Diese gelte es in Einklang zu bringen. Würden Gegensätze aber zu Dogmen gemacht, gebe es keine klug austarierten Interessen. «Ohne Gegengewichte gibt es kein Gleichgewicht», sagte Schneider-Ammann.
Doch Problemlösung setzte auch Dialog voraus. Tragfähige Lösungen entstünden nicht im stillen Kämmerlein, sondern im Gespräch. Dazu biete das Jahrestreffen des WEF eine einzigartige Chance. Diese gelte es zu nutzen.