Howe Gelb von Giant Sand: «Man muss sich gegen Trends behaupten»

Howe Gelb, der «Godfather» der alternativen Countrymusik, tritt am Pfingstmontag in der Kaserne auf. Im Interview blickt er zurück auf 30 Jahre Musikgeschäft, spricht seinen Hass auf die 80er-Jahre aus und seine Bewunderung für Punk, Johnny Cash und Hank Williams.

Howe Gelb blickt zurück: «Die späten 90er-Jahre waren gut für die Musik, aber schrecklich für mein Leben».

Howe Gelb, der «Godfather» der alternativen Countrymusik, tritt am Pfingstmontag in der Kaserne auf. Im Interview blickt er zurück auf 30 Jahre Musikgeschäft, spricht seinen Hass auf die 80er-Jahre aus und seine Bewunderung für Punk, Johnny Cash und Hank Williams.

Howe Gelb entdeckte den Country neu, als ihn niemand anders mehr hören wollte: Vor 30 Jahren erschien das erste Album von Giant Sand – abseits der geschliffenen Showbühnen von Nashville. Giant Sand spielten einen Country, der rumpelte, seufzte und dessen Sound ebenso zerzaust klang wie die Geschichten, die erzählt wurden. «Alternative Country» wurde das später genannt, und Howe Gelb als «Godfather» des Genres erhoben. Es war ein langer Weg dorthin, wie der 59-Jährige im Interview erklärt.

Howe Gelb, zum 30. Jahr der Geschichte von Giant Sand erscheint mit «Heartbreak Pass» ein neues Album. Ein Jubiläumsalbum?

Sowas kann man nicht planen, ich zumindest nicht. Als ich letztes Jahr realisierte, dass ein Jubiläum ansteht, war das Album schon in der Entstehung. In Nashville, dort plant man solche Dinge. Nashville funktioniert wie ein Handwerksbetrieb, der Produkte entwirft und anfertigt. Mein Weg ist eher der eines Entdeckers. Man weiss nie, ob etwas fertig ist.

Mit Giant Sand haben Sie rund 25 Alben veröffentlicht. Hinzu kommen die Nebenprojekte. An Inspiration fehlt es Ihnen nie, oder?

Mein Freund Rainer (Rainer Ptacek, Gründungsmitglied von Giant Sand, 1997 an Krebs verstorben) sagte mir bereits in den späten Siebziger Jahren, als wir erstmals zusammen Musik machten, ich solle mich nicht zu sehr verzetteln. Sondern mich auf eine Richtung konzentrieren.

Ein Rat, dem Sie offenbar widerstanden. «Heartbreak Pass» verdeutlicht das – es beginnt als trockener Country und mündet in jazzige Pianoballaden.

So endet das immer bei mir. Rainer war wie ein grosser Bruder, fünf Jahre älter als ich, und was er sagte, hatte Gewicht. Aber hier konnte ich ihm nicht folgen. Ich habe es nie geschafft, konzentriert in einem Genre zu arbeiten. Der Soundtrack des Lebens hat nun mal verschiedene Klänge. Es braucht viel, viel Zeit, um so verzettelt zu arbeiten und dennoch irgendwie besser zu werden. So geht die Zeit schnell vorüber. Dreissig Jahre, mein Gott! Wenn ich mir meine Kinder anschaue – da steckt eine Leistung dahinter, und man kann etwas vorzeigen. Mein erstes Kind musste ich alleine grossziehen, weil die Mutter sich mit psychischen Problemen verabschiedet hatte. Kinder, die kann man vorzeigen. Songs bleiben stets flüchtig, unsichtbar und irgendwie unfertig.

Als Songwriter haben sie kein väterliches Verhältnis zu ihren Liedern?

Weiss ich nicht. Wenn die alle an meine Beerdigung kommen, wird es auf jeden Fall ziemlich voll.

Väterlich gilt auch die Beziehung zum Genre, dem Sie angehören. Sie gelten als «Godfather» des Alternative Country. Wie fühlt sich das an?

Ich habe mir diese Begriffe – Americana, Alternative Country – ja nicht ausgedacht. Das waren Leute wie Sie, Journalisten. Dabei gab es diese Musik auch davor, man hörte sie bloss nicht. Ich habe mir nie vorgenommen, Country zu rehabilitieren. Ich mochte immer den alten, harten Country, von Hank Williams und Johnny Cash und all jenen dazwischen. Deshalb war Punkrock so wichtig für mich. Beim Punk ging es nicht ums Handwerk, nicht um das Können, sondern um die Haltung. Da gab es eine vergrabene Essenz, die bereits im Country der 50er-Jahre vorhanden war, und ebenso im Jazz. Das unbeschreibbare Etwas, das man bei Johnny Cash wie bei Johnny Thunders hört, und auch bei Thelonius Monk. Ein Kern, der diese Musik über ihre Zeiten hinweg trägt.

Am Punk muss Sie auch die Do-It-Yourself-Attitüde angesprochen haben. «Valley Of Rain», das Debut von Giant Sand, haben Sie selbst in zwei Tagen und mit ein paar hundert Dollar aufgenommen.

Ja, und ich muss mich heute nicht einmal dafür schämen. Diesen Aspekt des Punk habe ich sofort begriffen. Überproduzierte Musik war für mich eine aufgeblasene Form der Unterhaltung – schön anzuschauen, aber sie berührt nicht.

«Ja, ich habe die Achtziger gehasst!»

So gesehen waren die Achtziger Jahre musikalisch wohl keine einfache Ära für Sie.

Ja, ich habe die Achtziger gehasst! Denn damals ging es um grässliche Kleider, laute digitale Drums und eine kindliche Keyboard-Melodie, die sich wie ein Schlaflied stets wiederholt. Für uns war klar: Wenn wir möglichst das Gegenteil tun, könnte es gut kommen (lacht). Aber was es sonst noch alles gibt, davon hatten wir wenig Ahnung. In Tucson, wo ich aufgewachsen bin, gab es keine interessanten Radiostationen, keine Konzertclubs, und nur einen kleinen Plattenladen. Es war schwierig, damals in den Siebzigern und frühen Achtzigern, an interessante Musik zu gelangen. Deshalb haben wir unseren eigenen Sound entwickelt, und das dauert in einem derart abgelegenen Kaff ziemlich lange. Das Debut von Giant Sand erschien, als ich bereits 28 Jahre alt war, das kam mir unglaublich spät vor, die meisten der grossen Rockgötter waren in diesem Alter ja bereits tot. Wahrscheinlich habe ich deshalb so viele Platten veröffentlicht. Um aufzuholen.

Tucson liegt in Arizona, einem Wüstenstaat tief im Süden der USA. Landet man da automatisch beim Country?

«Desert Rock» wurde das anfangs genannt, ja. Oder «Sound of the West», und meint damit die Mariachi-Trompeten von Calexico oder den fantastisch üppigen Sound von Ennio Morricone für die Spaghetti-Western-Filme. Aber so klang der Sound des Westens für uns nicht. Sondern weitaus leerer, ohne viel Melodie, eine Form von Musik, die mit ihren minimalen Mitteln irgendwie zu existieren versuchte. Das Leben war billig damals, und die meisten Musiker sind faule Hunde, und weil es wenig gab dort unten, war man mit wenig zufrieden. Arizona ist nicht so lebendig und dicht wie New York City. Wenn man sich Musik aus New York anhört, etwa den Jazz der 1960er Jahre, hört man eine sehr dichte Musik, voller Leben und Chaos, in dem sich die unübersichtlichen Strukturen einer gigantischen Stadt spiegeln. Aber Arizona? Leer, weit, minimalistisch.

Die Landschaft, die Besiedlung formen die Musik?

Ja, nicht nur das. Sie beeinflusst unser Denken und unsere Vorstellung von einem guten Leben, unseren Rhythmus.

Waren Sie überrascht, dass «Americana» ausgerechnet in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern Jahren, dem Zeitalter von Techno, wieder zurückkehrte?

Solche Trends passieren nicht einfach so, sondern sie werden gesteuert und gefördert. Musik mag sicher auch Kunst sein, sie ist aber auch Verkaufsprodukt. Immer. Auch im Country. Heute gilt Robert Johnson als eine der frühen Ikonen des Country. Doch was damals zu seiner Zeit nur für eine Handvoll Leute in einer Kneipe in Mississippi gespielt wurde, haben die Plattenfirmen tausendfach weiterverkauft und ihm erst jene Bedeutung gegeben, die er heute hat.
Übers Radio, später über den Fernseher und heute übers Internet wird Musik pausenlos durch die Welt gedröhnt, und manche machen damit in erster Linie viel Geld. Seit den frühesten Aufnahmen war Musik in in Verkaufsstrukturen eingebettet, die es ermöglichen, Trends zu schaffen. Aber das heisst nicht, dass diese Trends abbilden, was tatsächlich in der Musik passiert. In den Neunziger Jahren war dank Grunge alternative Gitarrenmusik wieder populär, und jeder tat so, als wären diese Bands aus dem Nichts gekommen. Dabei war die Musik immer da. Uns sind nur jene Namen bekannt, die kommerziellen Erfolg hatten, über die berichtet wurde und die damit noch mehr Publikum angezogen haben, und wenn wir zurückblicken, halten wir das für die Geschichte der Rockmusik.

Musik als Spiegel gesellschaftlicher Realitäten und der Themen einer neuen Generation … daran glauben Sie nicht?

Ich habe neulich die Autobiografie von Leonard Cohen gelesen. Seine Musik hatte ich bisher immer verpasst, aber diese Lektüre war sehr erhellend: Er beschrieb, wie es manchmal Jahre daure, bis ein Song fertig ist. Und während dieser Zeit kann sich die Musik derart gewandelt haben, dass ein Song bereits völlig anachronistisch klingt. Man kann also nur schlecht planen, aber das ist völlig egal, man muss sich gegen die Trends behaupten, sich ihnen stellen, und wenn man Glück hat, gibt es genug Menschen, die einen verstehen. Ich glaube, darum ging es mir immer: Wie bleibt man mit – in meinem Fall – solch minimalistischem Sound am Leben?

Wie schafften Sie es? Ihre Mitmusiker von Giant Sand, Joey Burns und John Convertino, haben die Band verlassen, um Calexico zu gründen. Und fuhren damit Erfolge ein, die Giant Sand weit übertrafen. Sie blieben zurück.

Ja. Die späten 90er-Jahre waren gut für die Musik, aber schrecklich für mein Leben. Ich wurde alleinerziehender Vater, und mein bester Freund und musikalischer Mentor Rainer starb. Es war schwierig, die Band zusammenzuhalten. Ich war der einzige Fixpunkt bei Giant Sand, die anderen kamen und gingen. Ich blieb, und die Mitmusiker wurden immer jünger. Als ich den Schlagzeuger John Convertino entdeckte, war er sieben Jahre jünger, und Joey Burns sogar zehn Jahre. Ich war mit meinem Privatleben blockiert, aber sie waren ohne Verpflichtungen und voller Ambitionen. Und so haben sie eben alleine weitergemacht und Calexico gegründet, nach ihren Vorstellungen. Ich fühlte mich, als sei ich in Tucson gestrandet. Erst, als ich meine jetzige Frau, eine Dänin, kennen gelernt hatte, änderte sich das. Ich zog eine Weile zu ihr nach Dänemark, um die schlechten Erinnerungen aus Tucson hinter mir zu lassen. Auch die Musik.

Stattdessen haben Sie in Dänemark neue Musiker getroffen und Giant Sand reaktiviert. Waren Sie überrascht, dass Sie in Europa Musiker getroffen haben, die Ihren Americana-Sound spielen konnten, als seien sie mit ihm aufgewachsen?

Es war wie eine Wiedergeburt. Sie verstanden diese Musik, sie hörten meine alten Platten und verstanden auch die. Und sie waren begeistert von diesem Vintage-Sound, den alten Gitarren und Aufnahmegeräten, die ich mitbrachte und nutzte, weil sie eben so billig waren. Aber diese Dänen entdeckten die Schönheit darin. Ich konnte kaum glauben, wie viele grossartige Musiker es in Dänemark gab, bis ich ihr Schulsystem kennen lernte, was total anders als bei uns in den USA ist. Die lernten einfach alles. So werden meine Mitmusiker weiterhin jünger und jünger, nur ich bin noch da. Wie ein alter Vampir, der ihre Talente aussaugt (lacht).

«Ich bin wie ein alter Vampir, der die Talente junger Mitmusiker aussaugt.»

Eine späte Genugtuung?

Vor allem ein Genuss. Meine Mitmusiker sind heute fast 30 Jahre jünger als ich. Aber wären wir im selben Alter, wir wären Kumpels. Manche von ihnen haben lustigerweise auch bei Calexico mitgespielt – und sich für die eine oder andere Seite entschieden. Das ist wohl auch ein Grund, warum Giant Sand damals auseinandergefallen ist: Bei Calexico arbeitet man sehr organisiert, mit vielen Proben und strikten Abläufen. Innerhalb dieser Struktur funktioniert alles grossartig, und sie haben ihre Chance genutzt.

Und bei Giant Sand?

Eher wie eine liebevolle Katastrophe. Ständige Improvisation. Aber, was ich so höre, mit weitaus mehr Humor, Gelassenheit und Sensitivität. Es sind einfach zwei verschiedene Lager, Calexico funktioniert wie eine Firma, Giant Sand wie ein Jahrmarkt. Und diese jungen Musiker probieren beides aus und bleiben dann dort, wo es ihnen mehr zusagt.

«Calexico funktioniert wie eine Firma, Giant Sand wie ein Jahrmarkt.»

Das klingt, als seien Sie nach 30 Jahren Giant Sand an einem guten Ort angekommen. Was haben Sie für die Zukunft vor?

Die nächsten 30 Jahre, meinen Sie? Ich will herausfinden, warum manche Songs für immer in Erinnerung bleiben – und daran arbeiten. Ich bin auf dem Weg dorthin. In den Anfängen schrieb ich Songs nicht der Songs wegen, sondern um mich gegen musikalische Trends zu behaupten. Oder um auf älteren, vergessenen Country zu verweisen. Oder auf Punkrock. Später dasselbe mit David Bowie oder Thelonius Monk. Erst in den letzten fünf bis zehn Jahren realisierte ich, dass ich nicht nur älter, sondern auch besser wurde in dem was ich tat. Ich glaube, erst jetzt gelingen mir Songs, die nur für sich sprechen und auch in 20 Jahren noch gehört werden können. Die eigenes Gewicht haben. Ich war immer fasziniert von Liedern wie «Moon River» oder «As Time Goes By», die nie vergessen werden und die ihre Autoren und Interpreten längst überlebt haben. Wie man das schafft – daran arbeite ich.

Was können Sie verraten?

Ich glaube nicht, dass ich das erklären kann. Mein Bassist könnte das vielleicht, der versteht sich besser darauf, aber er ist gerade nicht hier (lacht). Einfach gesagt: ein Piano, eine berührende Akkordfolge, und eine entrückende Melodie. Daraus entstehen die ewigen Lieder. Wissen Sie, das klingt alles sehr verworren und grössenwahnsinnig, aber ich frage mich, ob es einen uralten Kern in der Musik gibt, etwas, das seit den frühesten Zivilisationen dazu beigetragen hat, das Musik in so vielen Kulturen so bedeutend ist. Was sind Verknüpfungen all der Formen von Musik, die seit Anbeginn der Menschheit da war und immer wieder neue Formen fand? Gibt es Elemente, die sich von frühesten Gesängen bis in die italienische Oper erhalten haben?

So etwas wie eine Anthropologie der Musik?

Ja, das wäre unglaublich interessant. Aber ich glaube, auch aus eigener Erfahrung: Die beste Musik entsteht, wenn die Zeiten hart sind. Musik ist immer da, und Musik tröstet. Erst recht, wenn man einen Seelenverwandten findet, mit dem man ein Lied singen kann.

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Giant Sand: «Heartbreak Pass», Irascible.
Live: 25. Mai, Kaserne Basel, 20 Uhr.

 

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