Er hat vor, die Young Boys zu stabilisieren und wieder auf einen einheitlichen Kurs zu bringen, sagt Christoph Spycher. Der Berner ist seit den herbstlichen Klub-Turbulenzen Sportchef von YB. Ein Gespräch über neue Philosophien, den FC Basel und die Bundesliga.
Christoph Spycher hat exakte Pläne und Werte im Kopf. Als Spieler war Authentizität seine Stärke, in seiner neuen Führungsrolle will er das Umfeld von seinem Weg überzeugen. «Es geht darum, die Mentalität zu stärken, Charakter zu zeigen», sagt der 39-Jährige im Interview mit der Nachrichtenagentur sda.
Christoph Spycher, Sie wollen mit YB von der Zickzack-Strategie der letzten Jahre abkommen und eine einheitliche Linie vorgeben. Wie viel Zeit benötigen Sie für die Kurskorrektur?
Das ganz grosse Bild hatte ich schon im September im Kopf. Ich kann seit meinem Transfer zu den Young Boys 2010 mitfühlen, wie sehr die Leute in Bern gelitten haben. Ihnen wurden immer wieder Erwartungen verkauft, die nicht zu halten waren. Zumindest das zu ändern ist nicht so wahnsinnig schwierig. Klar kommt man unter Druck, wenn die Ergebnisse ausbleiben. Aber wir haben uns entschieden, diesen Weg zu gehen, und ziehen das durch – wobei: Es gibt keine Vorgabe, nie einmal einen Millimeter nach links oder rechts vom Plan abzuweichen.
Sie haben als ehemaliger Talentmanager ein Flair für junge Spieler und in diesem Bereich bereits einige klare Commitments abgegeben – der künftige Leipzig-Keeper Mvogo beispielsweise wird durch den Winterthurer Challenge-League-Goalie David von Ballmoos ersetzt.
Wir wollen den Jungen etwas anbieten. Wie soll ein Talent sonst das nötige Gewicht bekommen? Es braucht bei gewissen Entscheiden auch etwas Mut. Die Torhüterfrage war so ein Punkt. Von Ballmoos kommt als Nummer 1 zurück, er geniesst unser volles Vertrauen. Wir verzichten darauf, den Markt weiter zu sondieren, weil wir so im nächsten Sommer unter Umständen eine wochenlange Goaliediskussion ausgelöst hätten.
Das Bekenntnis zur Jugend ist kein neues Konzept. Alle geben vor, mit Jungen arbeiten zu wollen. Ist in der YB-Organisation ausreichend Qualität vorhanden, um trotz angestrebter Verjüngung auf hohem Niveau ambitioniert zu bleiben?
Es geht nicht darum, die Mannschaft ausschliesslich aus dem eigenen Nachwuchs zu rekrutieren. Auch wir bringen nicht fünf Junioren pro Jahr in die erste Mannschaft. Aber der Blick geht immer zuerst in die eigenen Reihen. Das Engagement von Gérard Castella (neuer Ausbildungschef) war eine meiner ersten Amtshandlungen. Er verstärkt unser Know-how, dank ihm wollen wir noch besser werden auf dieser Stufe. Jedes Talent hat eine eigene Geschichte, die Förderung ist manchmal sehr individuell ausgerichtet. Wir müssen im Klub den perfekten Weg finden.
Hütter ist seit bald zwei Jahren da.
Ich bin froh, ist Adi Hütter da. Der Trainer ist unheimlich wichtig. Aber es kann nicht sein, dass ein Coach die Gesamtpolitik des Vereins bestimmt. So etwas – wie bei Gross – wird es nicht mehr geben. Es muss eine Stabilität möglich sein, die nicht mit einer Person steht oder fällt. Ich brauche ein Führungsteam, das ohne Angst arbeitet, die Autorität einzubüssen. Es wäre komplett falsch, sich permanent davor zu fürchten, den Job zu verlieren.
Zurück zum grossen Bild. YB besitzt sehr gutes Personal. Dank Ihnen, Ernst Graf, Gérard Castella und Stéphane Chapuisat ist reichlich Fussball-Kompetenz vorhanden. An der Linie steht ein erfahrener Coach, das Publikum ist da, das Stadion genügt höchsten Ansprüchen, im Verwaltungsrat sitzen potente Investoren.
Ich widerspreche bei vielen Punkten nicht. Trotzdem bleibt der Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und sportlichem Erfolg für alle Schweizer Klubs die grösste Challenge – ausser vielleicht für den FC Basel. Und leider sind die Trainingsbedingungen katastrophal. Uns fehlt an der Basis etwas, das wir für unser Konzept benötigen. Das ist derzeit meine grösste Sorge. Die Bedingungen passen nicht zum Ziel, die Leistungskultur gezielt anzuheben.
Solche Schwierigkeiten kennt in der Bundesliga ein Mittelfeld-Klub wie Mönchengladbach nicht. Die Fussball-Nation Deutschland zieht die Schweizer allgemein magisch an. Gibt es Elemente, die auch auf den Super-League-Alltag übertragbar wären?
Der deutsche Fussball hat eine unglaubliche Entwicklung gemacht. Ich war während einer Übergangsphase zu einer neuen Philosophie in Frankfurt tätig. Sie sind exzellente Verkäufer ihrer Sache. Und oft wird Klartext gesprochen. Die Spieler sprechen Probleme direkt an. Ich versuche ebenfalls, offen und ehrlich zu diskutieren. Manchmal ist der beste Weg zum Ziel der unangenehmste.
«Ich versuche, offen und ehrlich zu diskutieren. Manchmal ist der beste Weg zum Ziel der unangenehmste.»
Der deutsche Weg beinhaltet auch Tücken.
In Deutschland verschwinden wohl mehr Talente, das Netz in der Schweiz muss engmaschiger sein. Mühe haben wir mit dem Übergang zum Leistungsgedanken. Der Einstieg in den Profi-Fussball ist für viele ein erster Schock: Sieg oder Niederlage. Am Tag der Ankunft im Profi-Fussball ist die Winnermentalität ausschlaggebend. Bei einigen Top-Talenten fehlt sie, weil sie zuvor zu lange keine Widerstände überbrücken mussten.
In Basel sind Transfers und Talente ein florierendes Geschäftsmodell. Auch Junge durften sich im Flutlicht der Champions League präsentieren.
Wir wollen uns als ideale Zwischenstation in Europa einreihen. Nur ist der Einfluss der Champions League inzwischen unglaublich gross. Das Preisschild des Spielers kann sich im Erfolgsfall über Nacht verändern. Big Business, gewaltige Anreize, Spekulationen ohne Ende. Die Eliteliga beeinflusst nahezu alle Überlegungen.
Darum muss YB die Nummer 1 werden, um in diesen lukrativen Kreislauf zu kommen – oder legen Sie angesichts der 30-jährigen Durststrecke ohne Trophäe das Veto ein?
Wir machen das Basler Modell sicher nicht zum Hauptthema. Sie verrichten beim FCB einen exzellenten Job. Was dort passiert, können wir nicht beeinflussen. Deshalb müssen wir darauf achten, dass wir künftig aus unseren Mitteln das Beste machen. Von der Champions League braucht keiner zu träumen. Es wäre ratsamer und realistischer, sich zu überlegen, wie der Rückstand zu verkleinern ist, als ein Kader von 20 Nationalspielern zu halten.