Er hat im Herbst 2013 zweimal gegen José Mourinho gewonnen und den FC Basel in den ersten Europacup-Halbfinal der Klubgeschichte geführt: Murat Yakin.
Vorübergehend ist er in der Challenge und nicht mehr in der Champions League tätig. Le Mont statt Chelsea. Das Timing stimme, so der Ex-Internationale und schiebt nach: «Ich muss selber zufrieden sein.»
Schaffhausen tut Yakin gut, und die entspannte Trainer-Persönlichkeit tut dem zielstrebigen Kleinklub gut. Innerhalb weniger Monate führte er das vor der Winterpause letztklassierte Team auf Position 3 der Rückrunde. Ortswechsel, Zürich, schon immer die Schweizer Metropole seiner engeren Wahl und am Samstag Schauplatz des Duells mit dem FCZ, Kreis 5: Der 42-Jährige sitzt in einem stadtbekannten Langstrassen-Hinterhof vor der «Casa Aurelio» und gewährt der Nachrichtenagentur sda ein Interview, das erklären soll, weshalb er sich als zweifacher Meister-Coach nicht zu schade ist für die Fussball-Provinz. Yakin spricht über Basler Reibungen, gigantische Erfahrungen, sein Timeout, Begegnungen mit Arno Del Curto und erzählt von Skischwüngen auf frisch verschneiten Hängen.
Ihr Palmarès als zweifacher Meister-Coach ist reichhaltiger als der Leistungsausweis aller Super-League-Trainer. Im Herbst 2013 haben Sie mit Basel innert acht Wochen zweimal José Mourinhos Chelsea geschlagen. Yakin und Schaffhausen, der grosse Name und die kleine Bühne?
«Im Sport, und das ist meiner Meinung nach auch das Schöne daran, sind gewisse Erlebnisse und Leistungen kaum einmal in exakt gleicher Form wiederholbar. Die meisten Trophäen setzen in irgendeiner Vitrine Staub an, und ich bin keiner, der sie abstaubt. Für mich dreht sich viel mehr um das Thema, sich immer wieder neu bestätigen zu müssen. Der Ort ist letztlich gar nicht so entscheidend, die drei Punkte sind wichtiger. »
Das klingt sehr selbstlos.
«Es geht um das, was man gern macht, um den Fussball, um die Weiterentwicklung des eigenen Spiels, um die Ausbildung der Spieler in einem funktionierenden Umfeld. Das eigene Prestige stelle ich zurück, ich definiere mich über den Fortschritt im Kollektiv.»
In Thun orchestrierten Sie den Aufbau, in Luzern strebten Sie den Aufbruch an, in Basel führten Sie ein hochgerüstetes Kader. Für was steht Schaffhausen? Für eine etwas unorthodoxe Horizonterweiterung?
«Aus meiner Sicht geht es darum, sich mit allen möglichen Facetten und Mentalitäten zu beschäftigen. Ich muss als Trainer für neue Strukturen, für veränderte Umgebungen offen sein. Vielleicht ist in einem solchen Arbeitsumfeld auch der Blick zurück ratsam – ich habe nirgendwo länger als zwei Jahre gearbeitet. Man stellt sich in ruhigen Momenten die Frage, ob man mit seiner Art geeignet ist, gewinnbringend weiterzufahren.»
Zu welcher Erkenntnis gelangten Sie?
«Es braucht immer wieder anderes Werkzeug, um die Spieler der neuen Generationen zu erreichen. Ich bin selber noch immer ein junger Trainer, der weiterkommen will, der Spieler wie Schachfiguren verschieben kann.»
Haben Sie während Ihrer 18-monatigen Pause Ihr Repertoire beim Hospitieren erweitert? Sie verbrachten viel Zeit in Davos – tauschten Sie sich mit dem Hockey-Kult-Trainer Arno Del Curto aus?
«Aus der Nähe beobachten lässt sich kein Trainer gerne. Wobei Arno sicherlich offen wäre in dieser Beziehung. Ich habe mir zwei, drei HCD-Spiele angeschaut und mich mit ihm in der Kabine kurz unterhalten – mehr nicht. Auf dem Golfplatz haben wir bedeutend mehr Zeit zusammen verbracht (lacht). Kopieren kann man sowieso niemanden, jeder führt anders. Es gibt 100’000 Übungen, und trotzdem würde ich nie auf die Idee kommen, am Montag genau nach Plan die Lektion x und am Dienstag die Lektion y aus der Schublade zu ziehen.»
Sie handeln lieber instinktiv.
«Ich bin keiner, der immer alles minutiös plant. Meine Intuition fliesst mit ein. Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass es in der effektiven Spielzeit zu rund 1200 bis 1500 verschiedenen Aktionen kommt. Vieles ist unvorhersehbar, oft muss ein guter Spieler situativ entscheiden. Man muss den Fussball im Blut haben, lernwillig und kritikfähig sein.»
Apropos Kritik. Ihre knapp zwei Saisons in Basel wirkten für einen Aussenstehenden zermürbend. Permanent veröffentlichten Insider Vorwürfe von unzufriedenen Akteuren. Wie haben Sie Ihren prägendsten Trainer-Abschnitt in Erinnerung?
«Ich habe 100 Pflichtspiele in 19 Monaten im Kopf. Interviews ohne Ende, Kommentare von allen Seiten, 20 Nationalspieler mit Ansprüchen. Ich habe mit der mir eigenen Ruhe versucht, die von aussen entfachte Hektik einzudämmen. In der Kabine kamen bei mir nie Zweifel auf. Die Spieler wollten gewinnen – ich wusste genau, auf wen ich mich verlassen konnte. Über den Rest diskutierte ich nicht, das hätte mich nur abgelenkt.»
Kein Groll, nichts Negatives?
«Reibung gehört dazu. Und in unserem Geschäft fallen auch mal harte Worte. Nach einer gewissen Zeit kann jeder dem anderen wieder in die Augen schauen. Ich für meinen Teil kann mit den Ergebnissen meiner FCB-Zeit gut leben und sagen: danke für die gigantische Erfahrung, im Prinzip alles richtig gemacht.»
Wie es weitergeht in Schaffhausen, ist derzeit unklar. Bleibt Deutschland für Sie eine reelle Option?
«Vorstellbar ist alles, wenn die Konstellation passt. Ich beobachte die Lage in Deutschland selbstverständlich. Als Spieler habe ich dort allerdings nicht die beste Duftmarke hinterlassen. In der Schweiz leben ebenfalls nicht nur Befürworter von mir. Aber sagen wir es so: Ich traue mir die Bundesliga zu.»
Wie viele Anfragen aus anderen Destinationen haben Sie während Ihres Sabbaticals ausgeschlagen?
«Es gab Offerten aus allen möglichen Ländern, oft handelte es sich dabei aber um Nacht- und Nebelaktionen mit 48-stündiger Bedenkfrist. Der Lebensstandard in der Schweiz ist hoch, da muss einen zuerst jemand wegbringen.»
Ihr Engagement in der Challenge League könnte böswillig interpretiert werden: Yakin hat keine Ambitionen mehr. Befürchten Sie nicht, in eine unvorteilhafte Ecke gedrängt zu werden?
«Ich bin absolut happy mit meinem derzeitigen Profil. Was andere denken und meinen könnten, kümmert mich schon lange nicht mehr. Gerüchte, Spekulationen, Behauptungen oder Mutmassungen in meinem Zusammenhang interessieren mich nicht.»
Die Auszeit vor Ihrem Wiedereinstieg dehnten Sie bewusst aus.
«Vielleicht war ein Timeout in diesem Umfang einmal nötig. Ich brauchte zu Beginn fast drei Monate, um zu realisieren, dass es nach 20 Jahren ohne Pause nicht mehr sofort weitergehen wird und auch nicht soll. Ab dann habe ich auf keine Anfragen mehr gewartet. Ich wollte meinen Tagesablauf selber bestimmen, ohne alle fünf Minuten auf meine Uhr starren zu müssen.»
Bis zu Ihrem Comeback beim FCS standen Sie dem Vernehmen nach lieber auf den Ski als auf dem Fussballplatz?
«Ich bin mittlerweile tatsächlich ein ganz passabler Skifahrer. Ein Kollege bot mich in Davos um 8 Uhr auf. Mit dem ersten Bähnchen fuhren wir hoch und genossen den Sonnenaufgang über dem Parsenngebiet. Auf einer frisch präparierten Piste machten wir ein paar Schwünge – zwei Stunden Erholung, ein Kafi, ein Gipfeli, zurück zur Familie, einfach wunderbar.»