«Ich vertraue oft dem Schicksal, da ich in meinem Beruf vieles selber nicht beeinflussen kann»

René Weiler straft beim RSC Anderlecht seine anfänglichen Skeptiker Lügen und schafft den wertvollsten Coup seiner bisherigen Trainer-Laufbahn. Im Interview spricht er mitunter über seine Genugtuung.

Trotz aller Kritik und Unkenrufe – René Weiler hat es geschafft: Er führte den RSC Anderlecht zum Meistertitel.

(Bild: EPA/STEPHANIE LECOCQ)

René Weiler straft beim RSC Anderlecht seine anfänglichen Skeptiker Lügen und schafft den wertvollsten Coup seiner bisherigen Trainer-Laufbahn. Im Interview spricht er mitunter über seine Genugtuung.

René Weiler hat geschafft, was im Ausland in den letzten Dekaden kein Schweizer Trainer erreichte: Der 43-Jährige führte den renommierten belgischen Klub RSC Anderlecht zurück an die Spitze. Unmittelbar nach der Titelfeier unterhielt sich der Champion mit der Nachrichtenagentur SDA über den wertvollsten Coup seiner bisherigen Laufbahn.

Belgien, mit dem Nationalteam an den letzten beiden grossen Endrunden Viertelfinalist, ist im internationalen Business ein relevanter Faktor. Die Liga gehört in Europa zu den Top 6 und produziert regelmässig neue Stars für die Premier League. Der Titelgewinn Weilers in dieser klassischen Fussball-Nation ist entsprechend hoch zu gewichten.

Der Rekordmeister ist in Brüssel eine Institution. Jeder Fehlpass löst in den diversen Zeitungen, welche den Verein täglich unter die Lupe nehmen, eine umfassende Debatte aus. Hier zählt nur der erste Platz. In Anderlecht muss man jeden dritten Tag gewinnen. In diesem Spannungsfeld wurde Weiler im letzten Sommer von der Klubspitze mit prägenden Worten vorgestellt: «Dieser Trainer wird die Identität von Anderlecht verändern.»

Zu viel haben die Entscheidungsträger nicht versprochen. Weiler formierte das Team in einer zunächst schwierigen Konstellation nahezu komplett neu um das Talent Youri Tielemans. Seinen radikalen Umbau goutierten nicht alle. Gille Van Binst, eine preisgekrönte Klub-Ikone aus Anderlechts goldenen Siebzigerjahren, kritisierte das Projekt Weilers zunächst scharf, inzwischen verneigt sich der 65-Jährige vor ihm: «Weiler ist ein Hero, Chapeau! Ich bin ein Fan geworden. Mea culpa.»

In den Spalten der «Dernière Heure» war ebenfalls eine Würdigung des jungen Schweizer Coachs zu lesen: «Auch wenn der Titel dem Kollektiv gehört, in erster Linie ist er der Verdienst von Weiler.»

René Weiler, beschreiben Sie den Höhepunkt Ihrer bereits 16-jährigen Laufbahn im Trainer- und Sportchef-Metier.

Als wir rund zehn Minuten vor Schluss 2:1 in Führung gingen, wusste ich, dass es nun vollbracht ist. Nach drei titellosen Jahren und in einem Verein mit anfänglich sehr vielen Baustellen sowie permanentem Druck war das Erlösung und Glücksgefühl zugleich.

Wie reagierte das RSC-Umfeld? Wie wurde das Team in Brüssel empfangen?

Alle sind glücklich und darin bestätigt, in dieser Saison fast alles richtig gemacht zu haben. Der Empfang war dementsprechend frenetisch.

Welche Rückmeldungen haben Sie persönlich erhalten? Haben Ihnen auch Schweizer Trainerkollegen zum Gewinn der Trophäe gratuliert?

Wenn man gewinnt, melden sich bekanntlich auch einige nicht erwartete Stimmen. Aber es gab etliche Trainerkollegen, die gratulierten, was ein Aufsteller war.

Wie fühlt es sich an, eine Klub-Grösse in einem Land mit sehr grosser Fussball-Tradition wieder an die Spitze geführt zu haben?

Ich fühle Stolz und Genugtuung, eine Einheit kreiert zu haben, welche funktionierte. Das Team, der Staff, die Führung, die Angestellten und Fans sind zusammengerückt – es entstand eine verschworene Gemeinschaft. Das braucht es, um im komplizierten Fussballgeschäft konstante Erfolgschancen zu haben.

Im Herbst waren Sie unter medialen Beschuss geraten. Wie ausgeprägt ist die Genugtuung, die Kritiker mit einer imposanten Serie und nur zwei Niederlagen in 24 Runden zum Schweigen gebracht zu haben?

So denke ich nicht. Als Trainer gerät man schnell und immer wieder unter Beschuss, das ist unser Los. Ich konzentriere und fokussiere mich stets auf die fussballerisch bestmöglichen, nächsten Entscheide. Reicht das nicht, muss ich mir auch keine Vorwürfe machen. Der Sport produziert Gewinner und Verlierer, keiner weiss das besser als ein Trainer.

Gab es in den letzten Monaten heikle Momente? Oder anders gefragt: An welchen Schrauben haben Sie gedreht, ehe die Equipe im zweiten Teil der Saison auf allen Ebenen markant aufdrehte?

Ziel ist es stets, den Einzelnen und das Team im Verlaufe einer Saison besser zu machen. Das ist mir eigentlich überall gelungen. Viele verkennen immer wieder, dass es Zeit braucht, um Dinge zu verändern. Das gilt im Leben allgemein. Doch an Ruhe und Geduld sind viele, insbesondere die Medien, nicht interessiert. Das können meine Trainerkollegen und ich nicht ändern.

Wo ordnen Sie den Gewinn der belgischen Meisterschaft generell ein?

Es ist einfach schön, ein Teil davon sein zu können, wenn fast alle Anspruchsgruppen eines Vereins glücklich sind und zusammen singen und tanzen. Diese frohen Tage sind das Ergebnis vieler stressbedingter Zeiten zuvor. Das allgemeine Strahlen in den Gesichtern wird unvergesslich bleiben.

Schweizer Trainer haben in Europa vereinzelt für positive Schlagzeilen gesorgt und Aussenseiter an die erweiterte Spitze geführt – Sie heben sich mit dem Titelgewinn ab. Ihnen ist mit 43 quasi eine Pionier-Performance gelungen. Stolz? Haben Sie die Gewissheit, auf dem richtigen Weg zu sein?

Persönlich finde ich, stets auf dem richtigen Weg zu sein. Fehlentscheidungen und Niederlagen gehören dazu. Ohne Fehler ist man weniger lernfähig. Ich vertraue auch oft dem Schicksal, da ich ja gerade in meinem Beruf vieles selber nicht beeinflussen kann. Wie gesagt: Einfach stets das Bestmögliche geben, mehr ist nicht machbar.

Der RSC steht direkt in der Champions League. Wie werten Sie den Bonus, als Coach im kommenden Herbst die prestigeträchtigste Bühne zu betreten?

Jetzt geniesse ich den Moment und zu diesem gehört auch die Champions-League-Qualifikation. Beginnt dieser Wettbewerb, beginnt auch wieder das Spannungsfeld zwischen grosser Vorfreude und harter fussballerischer Realität. Niederlagen sind das schlechteste Mittel gegen entspannte Spiele. Und die Champions League ist diesbezüglich eine riesige Herausforderung.

«Weiler schafft es, die Leute mitzunehmen. Es kommt gut an, wenn jemand mit Überzeugung und zielgerichtet arbeitet.» Die Einschätzung stammt vom ehemaligen Nürnberger Sportdirektor Martin Bader. Hat er Sie gut analysiert?

Damit bin ich nicht unbedingt falsch beschrieben, wobei ich mich ja nicht selber beurteilen kann.

Sie haben in den letzten Jahren immer wieder konsequente Entscheide gefällt und Trainerposten aus freien Stücken geräumt. Sind Sie auch ein Meister der Planung oder des Timings?

Ein Vorgesetzter einer Gruppe muss viele, auch delikate Entscheide fällen. Könnte ich diese für mich selber nicht treffen, würde ich nicht unbedingt leitender Angestellter sein wollen. Vieles hat bisher geklappt, aber nicht alles. So ist das Leben.

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