«Ich will nicht die Natur retten, sondern den Menschen in ihr»

Für die «Reise der Pinguine» erhielt er einen Oscar. Er wolle nicht die Natur schützen, sagt er. Er wolle den Menschen schützen. Der sei ja ein Teil der Natur – einer fantastischen Natur, die man in «Geheimnis der Bäume» besichtigen kann – noch. Er wirkt, als sei er eben erst von einer Expedition zurückgekehrt. Er […]

Für die «Reise der Pinguine» erhielt er einen Oscar. Er wolle nicht die Natur schützen, sagt er. Er wolle den Menschen schützen. Der sei ja ein Teil der Natur – einer fantastischen Natur, die man in «Geheimnis der Bäume» besichtigen kann – noch.

Er wirkt, als sei er eben erst von einer Expedition zurückgekehrt. Er trinkt Tee. Schwarz. Ohne Milch. Luc Jacquet, der für die «Reise der Pinguine» einen Oscar erhielt. Er sieht aus wie ein Abenteurer. Er freut sich über das Plakat zu seinem neuen Film «Das Geheimnis der Bäume», mit dem Namen Bruno Ganz an prominenter Stelle. Ganz, sagt er, habe gute Arbeit geleistet. Ein wenig Deutsch spricht Jacquet auch. Er werde schliesslich demnächst in der Schweiz drehen. Auf dem Aletschgletscher. Ein Gespräch.

Erst filmen Sie am Südpol. Jetzt im Urwald. Bald auf dem Aletschgletscher. Ihre Filme sind Abenteuer für die Zuschauer. Sind Sie ein Abenteurer?

Dann würde ich nach Hollywood gehören. Nein. Ich bin kein Abenteurer. Aber ich schlage gern unvorhergesehene Richtungen ein. Ich bin bereit auf Dinge zu stossen, die ich so nicht erwartet hätte. Meine Neugier kennt keine Grenzen. Ich habe drei Jahre in Tropenwäldern verbracht, um etwas zu erzählen zu haben.

Wieviele  Impfungen mussten Sie machen lassen?

Gar nicht so viele. Aber es gehört zur Ironie des Unternehmens, dass wir uns in Peru gegen Grippe impfen mussten. Um die Einheimischen dort nicht zu infizieren.

Warum drehen Sie auf zwei Kontinenten?

Francis spricht darüber im Film. Wenn Sie in einem tropischen Regenwald sind, sei es in Asien, Afrika, oder Südamerika, können Sie nicht sagen, wo Sie sind. Ausser, Sie sehen Tiere. Die Wälder sind dieselben. Aber eben nicht gleich. Die Arten sind komplett verschieden. Die Bäume in den afrikanischen Wäldern sind höher, grösser. Während die südamerikanischen viel reicher, dichter sind. Ich drücke das gerne so aus: Der afrikanische Wald ist wie eine Kathedrale. Der südafrikanische Wald ist wie eine barocke Kirche.

«Ich habe an vielen Orten gesehen, wie die Erde verschandelt wird.»

In «Geheimis der Bäume» ist Francis Hallé der einzige Mensch, der zu sehen ist. Er hat einen Teil seines Lebens in Bäumen verbracht. Wie haben Sie ihn kennengelernt?

Ich bin viel gereist. Habe an vielen Orten gesehen, wie die Erde verschandelt wird. Nach dem Oscar für die «Reise der Pinguine» wollte ich mein Schaffen neu konzentrieren. Die Bewahrung der Natur sollte eine wichtigere Rolle spielen.

Francis bewegt sich in den Bäumen.

Als er jung war, ist er selber in die Bäume hinaufgeklettert. Wir haben ihm mit unseren Hebebühnen geholfen. Ich kann Ihnen sagen, dass ich oft frühmorgens während der Vorbereitungen des Drehs hinaufkletterte, in einen Baum. Ich blieb gerne da oben. Es ist wie eine kleiner Altarraum.  

Francis ist Botaniker. Er ist aber auch Zeichner.

Er zeichnet als Botaniker. Aber für mich ist er ein Künstler. Seine Kunst ist seine Art, Pflanzen besser zu verstehen. Ich hatte zu Bäumen keine Beziehung. Wir sind zusammen nach Neuguinea gereist. Er hat mir dort in den Wäldern gezeigt, wie er gelernt hat, die Entwicklung aus der Sicht der Bäume zu betrachten. Ich hatte bis dahin die Vegetation als unbeweglich betrachtet. Er lehrte mich das diffizile Zusammenspiel zu erkennen.

Er liefert auch die Zeichnungen, die die Geschichte des Filmes ausmachen: Wir erleben im Zeitraffer, wie nach einer Rodung wieder ein Urwald entstehen könnte.

Ich wollte unbedingt zeigen, wie ein Urwald entsteht. Aber das würde 700 Jahre dauern. Das hätte jeden Film gesprengt …

2713 könnten also gerodete Flächen wieder Urwälder sein?

Daran können Sie erkennen, welchen Zeithorizont unser Leben hat.  

«Ich glaube an die Tugend der Emotion. Ich möchte den Menschen nicht Angst machen.»

Können Menschen diesen Horizont von Biokapital überhaupt denken?

Ich weiss nicht. Zehn Menschenleben sind nach wie vor schwer fassbar für einen Menschen. Sehen Sie, die Menschen fangen an, über die globalen Zusammenhänge der Ressourcen nachzudenken. Wir sprechen ja in der Biologie auch von Erträgen. Von lebendigen Erträgen, von Vernetzung der  Biosysteme, die man unter dem Begriff «Selbstorganisation» diskutiert. Für jemanden, der in Zürich lebt, ist der Regenwald weit weg und bietet keinen Ertrag. Ausser vielleicht für das hiesige Klima. Die Frage, ob wir die Natur weiterhin ausbeuten oder erhalten müssen, ist deshalb falsch gestellt. Wir schützen ja nicht den Wald. Wir schützen den Menschen, wenn wir uns diese Gebiete erhalten, in denen die Natur sich ausserhalb des menschlichen Gewinnstrebens weiterentwickeln kann.

Sie engagieren sich auch ausserhalb des Filmschaffens für die Natur?

Nicht für die Natur. Für den Menschen. Ich habe die «Wild Touch»-Produktion gegründet, um Natur-Filme zu ermöglichen, ohne primäre kommerzielle Ziele. Ich meine damit nicht ökologische Filme, weil da immer eine starke Schuldzuweisung eine Rolle spielt. Ich glaube an die Tugend der Emotion. Ich möchte den Menschen nicht Angst machen. Der Wald ist ein gewaltiges Laboratorium. Er repräsentiert eine geniale Kreativität. Sie sehen im Film Schmetterlinge, die sich in ihrer Erscheinung nahezu in jede Umgebungsform verwandeln können. Eine Art hat ihre Larven für Vögel giftig werden lassen. Eine andere Art hat das Aussehen der giftigen Larven imitiert, um nicht Gift produzieren zu müssen, aber dennoch giftig für die Vögel auszusehen …

Sie sind vielen Wundern begegnet. Sind Sie religiös geworden?

Es gelingt mir nicht, all die Wunder auf die Frage nach einem Gott zu reduzieren. Allerdings gibt es in diesen Wäldern etwas derart Unfassbares, dass es eine solche Fragestellung aushebelt. Der Versuch zu erzählen, wie Bäume die Fähigkeit entwickeln, Lebensräume zu erkennen, schafft eine andere Demut. Wie beschreibe ich die Intelligenz dieses Organismus? Wir nennen uns «Homo sapiens», dennoch schaffen Bäume, die ja kein Gehirn haben (solange niemand das Gegenteil beweist), weit intelligentere Anpassungen als wir.

In der Biologie nennt man das «Selbstorganisation».

Genau. Sie stellt die homozentrische Philosophie in Frage. Wie kommt zum Beispiel ein Baum auf die Idee, Ameisen-Eier zu imitieren, um Ameisen anzulocken? Wie weiss er, wie sie aussehen? Er hat ja keine Augen. Ausserdem leistet sich der Baum den Luxus, diese gefälschten Eier mit tierischen Proteinen auszustatten! Um die Ameisen bei Laune zu halten. Obwohl er ansonsten nur pflanzliche Proteine kennt! Dabei braucht der Baum 100 Jahre, um seine volle Grösse zu erreichen! Sie hören nicht auf, darüber nachzudenken, wie die Intelligenz dieser Wesen funktioniert, die scheinbar reglos im Boden verankert sind. Der Baum verschafft sich einen Platz an der Sonne. Er beugt Krankheiten vor. Er vermehrt sich. Der Wald bewegt sich wie ein phantasiebegabtes Wesen.  

Sie lassen den Film damit enden, dass wir über einer Baumkrone schweben, die in ihren Verästelungen wie ein menschliches Gehirn aussieht.

Wir sind nicht mehr so weit davon entfernt, die Leistungen des menschlichen Hirns zu ahnen. Aber wir sind noch weit davon entfernt, die Leistungen der biologischen Intelligenz zu verstehen.  

Immerhin können wir sie in Ihrem Film ahnen.


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