«Ich wusste nicht, wohin die Suche führen wird»

Er ist ein Tüftler und Vagabund. Ob mit einer Blaskapelle oder mit dem Gitarristen von Tom Waits: Vinicio Capossela ist längst ein Megastar in Italien. Jetzt ist er auch in der Schweiz aufgefallen: In Locarno wird seine musikalische Suche nach dem griechischen Blues in einem Film präsentiert. Aus diesem Anlass eröffnet er am Mittwoch mit […]

Richtet seinen Blick nach Griechenland: Vinicio Capossela.

Er ist ein Tüftler und Vagabund. Ob mit einer Blaskapelle oder mit dem Gitarristen von Tom Waits: Vinicio Capossela ist längst ein Megastar in Italien. Jetzt ist er auch in der Schweiz aufgefallen: In Locarno wird seine musikalische Suche nach dem griechischen Blues in einem Film präsentiert. Aus diesem Anlass eröffnet er am Mittwoch mit Rembetiko-Musik das Film-Festival.

Er ist schwer zu erreichen, der Schriftsteller, Poet und Musiker Vinicio Capossela. Er ist in vielerlei Hinsicht stets unterwegs. Immer ist er als musikalischer Tüftler auf der Suche nach neuen Begegnungen. Er sucht nach Musik nicht nur in seinen Büchern (In clandestinità). Wo Antony Burgess («Clockwork Orange») oder James Joyce («Finnegans Wake») in der Sprache immer nach der Musik gesucht haben, ist Capossela auch in der Musik immer auf der Suche nach neuen Sprachen.

Jetzt hat ihn die Suche nach Griechenland geführt. Begleitet wurde er von einem Filmteam. In Locarno wird der Film von Andrea Segre am Mittwoch das Filmfestival eröffnen – mit einem anschliessenden Konzert von Capossela und einer Gruppe von griechischen Musikern.

Auch als ich ihn anrufe ist er unterwegs, der Poet und Cantautore. Pronto? Er schreibt Bücher, er schreibt Gedichte.

Herr Capossela, warum landen Sie immer wieder bei der Musik?

Alles führt bei mir immer wieder zur Musik. Ob ich nun eine Erzählung schreibe oder eine Zeile zu einem Text finde, es fängt mit Musik an, oder besser mit einem Zusammentreffen mit anderen Musikern…

Wie zum Beispiel mit dem Gitarristen Marc Ribot, der viel bei Tom Waits gearbeitet hat, mit dem Sie immer wieder verglichen werden? Diesmal haben Sie mit griechischen Musikern gearbeitet, sind nach Griechenland gefahren…

(Es knackt in der Leitung)

Pronto?

Si!

In Ihre Liedern gelingt es ihnen immer wieder, Worte in Musik und Musik zu einer eigenen Sprache werden zu lassen. Wohin hat Sie diese Reise geführt?

Ich bin nicht nach Griechenland gefahren, weil ich wusste, in welcher Krise sich das Land befindet. Ich habe mich für «Antropos» interessiert, den aufrecht gehenden, sinnlichen Menschen. Was bewegt die Menschen dort? Griechenland ist so etwas wie die Wiege der Zivilisation – vor allem meiner Vorgänger. In der Musik suche ich, was uns von den Ursprüngen verbindet. 

Er lacht kurz, als er mit den Worten ‚aufrechter Mensch‘ spielt.

Ich meine allerdings nicht nur die Antike, sondern das, was die Menschen heute bewegt. Ihre Emotionen. Der Ausdruck dessen, was in ihnen vorgeht, was wiederspiegelt, was um sie herum vorgeht.

Wollten Sie herausfinden, was die Menschen in den schwierigen Lebenslagen bewegt?

Der Rembetiko hat mich interessiert: Eine musikalische Sprache, die im Untergrund entstand, bei den Flüchtlingen, bei den einfachen Leuten, die vor 100 Jahren in Piräus gestrandet waren. Die Impressionen. Sie sind in der Musik der einfachen Leute zu finden. Die Musik ist ein universaler Dialog. Das ist es, was ich gesucht habe. Indem ich mit ihnen musiziere, nehme ich ihre Sprache auf…

Eine rebellische Sprache…

…und auch eine alltägliche, traditionelle Musik. Wie der Blues. Ich habe mich in Tavernen zu anderen Musikern gesellt, und habe die Dinge sich entwickeln lassen, wir haben angefangen, gemeinsam zu musizieren in unterschiedlichen Zusammensetzungen und – ja, Gespräche in der Sprache der Musik sind vielleicht universeller als mit Worten – freundschaftlicher… Wir haben nach einer Art gesucht, diese Dialoge festzuhalten, an Orten, wo sie entstanden sind, am Geburtsort, in Athen und Piräus… Ich wusste nicht, wohin die Suche führen wird. Aber ich hatte mit dem Filmemacher Segre den Plan, dass an dieser Suche auch drei Kameras teilnehmen würden, um dokumentieren zu können, wie ein musikalische Reise verlaufen kann, oder besser, wie es kam, dass wir jetzt so unterwegs sind… Indem ich das Bouzouki spiele habe ich viel über die Menschen erfahren… Man hat mir ein Instrument geschenkt, das ich auch spiele.

Sie zeigen in Locarno nicht nur Ihren Film, sondern werden mit ihrer Truppe auch das Eröffnungskonzert bestreiten. Sie sind in der Schweiz noch wenig bekannt. Ist das Schweizer Publikum neugierig, den Cantautore zu sehen?

Ich bin vielleicht noch neugieriger als das Publikums sein wird. Weil ich die Bilder zum erstem Mal auf einer grossen Leinwand sehen werde… Si? Va bene?

Er ruft noch auf deutsch einen Gruss in die Schweiz. Wahrscheinlich dreht er sich jetzt um und geht zurück in eine Kneipe. Etwas anderes will man sich von dem poetischen Vagabunden auch nicht vorstellen.


Der griechische Blues: Rembetiko trifft den Vagabunden Capossela.

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