Der Tessiner Nationalrat Ignazio Cassis ist neuer Fraktionschef der FDP. Die Bundeshausfraktion hat den 54-jährigen Mediziner am Freitag seinem Berner Ratskollegen Christian Wasserfallen vorgezogen.
Die Fraktion entschied sich mit 38 von 54 möglichen Stimmen für Cassis, wie die abtretende Fraktionschefin Gabi Huber am Freitagabend vor den Bundeshausmedien in Bern sagte.
Cassis ist seit Juni 2007 Mitglied der grossen Kammer und seit 2011 Vizepräsident der Fraktion. Dort ist der ehemalige Tessiner Kantonsarzt zurückhaltend und mit wohl überlegten Voten aufgetreten. Als Einpeitscher, der seine Fraktion autoritär auf Linie bringt, ist Cassis schwer vorstellbar. Vor Journalisten bezeichnete er selber seinen Führungsstil als «hart, aber fair».
Schwieriges Verhältnis mit der SVP
Das dürfte ihm im spannungsreichen Verhältnis zur SVP von Nutzen sein. Im Nationalrat haben FDP und SVP in der nächsten Legislatur zwar die Mehrheit, aber nur, wenn sie geschlossen auftreten. Jede abweichende Stimme kann dieses Verhältnis zum Kippen bringen, was die FDP gehörig unter Druck setzen wird.
Es gehört nun zu Cassis‘ Aufgaben, nötigenfalls Distanz zur grossen Partnerin im rechten Block zu schaffen. Er macht sich jedoch keine Sorgen, dass seine Partei in dieser Konstellation an Profil verlieren könnte. Die FDP sei eine autonome Partei mit einer klaren Linie, die sie auch weiter verfolgen werde, sagte Cassis nach der Wahl.
Sie werde aber Allianzen suchen. Das könne einmal mit der SVP sein, einmal mit der CVP oder auch mit anderen Parteien. «Das sind aber themenspezifische Allianzen, nicht programmatische Allianzen», stellte Cassis klar.
Kernthemen des neuen Fraktionschefs sind die Sozial- und die Gesundheitspolitik. Cassis ist seit seiner Wahl ins Bundesparlament Mitglied der Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK). Seine Fragen und Vorstösse beschränken sich weitgehend auf diese Themen – und auf die Anliegen seines Kantons und der italienischsprachigen Bevölkerung.
Gegengewicht zum Deutschschweizer Präsidenten
Auch im Rennen um das Fraktionspräsidium verstand sich Cassis als Kandidat der lateinischen Schweiz. Er glaubt, dass die Fraktion mit seiner Wahl einen Ausgleich zum Parteipräsidium schaffen wollte, das vom Aargauer Philipp Müller besetzt wird. «Wir sind eine nationale Partei», sagte Cassis.
Bei seinen ausserparlamentarischen Tätigkeiten blieb Cassis bisher weitgehend bei seinen Kernthemen. Ein einflussreiches Mandat hat er als Präsident des Krankenkassenverbands Curafutura. In dieser Funktion hat sich Cassis zum Ziel gesetzt, das angeschlagene Image der Krankenkassen aufzubessern.
Seine erste Aufgabe als neuer Fraktionschef sieht er jedoch darin, die neu gewählten Mitglieder willkommen zu heissen und in der Fraktion zu integrieren. Diese müssten nun die Regeln der Fraktionsarbeit kennenlernen. Cassis‘ Vorgängerin, die Urner Nationalrätin Gabi Huber, hatte die Fraktion seit Ende 2007 geleitet. Sie zieht sich aus der nationalen Politik zurück.