Ikarus aus dem Baselbiet

Zwei spektakuläre Flüge machten den Langenbrucker Oskar Bider 1913 zum Star der Lüfte.

Zwei spektakuläre Flüge machten den Langenbrucker Oskar Bider 1913 zum Star der Lüfte.

Am 17. Dezember 1903 schwebte der Motor-Doppeldecker der Brüder Wright während 59 Sekunden in der Luft und legte dabei eine Strecke von 260 Metern zurück, ohne bei der Landung in Bruch zu gehen. Keine sechs Jahre später flog der Franzose Louis Blériot am 25. Juli 1909 als Erster mit seinem Eindecker über den ­Ärmelkanal. Und bevor man sich dessen richtig bewusst wurde, war die Eroberung des Luftraums bereits in vollem Gang.

Mit jeder neuen fliegerischen Grosstat wuchs der Wunsch der Piloten, sie durch eine noch grossartigere Leistung zu überbieten. Manchmal bezahlten sie dafür mit ihrem Leben wie Geo Chavez bei seinem Versuch, als Erster über die Schweizer Alpen nach Italien zu fliegen.

Langenbruck lädt zum Oscar-Bider-Fest
Am Wochenende vom 22. und 23. Juni feiert Langenbruck mit einem grossen Dorffest das 100-Jahr-Jubiläum von Oskar ­Biders Alpenflug. Zu den Attrak­tionen gehören Schauflüge alter und neuer Maschinen – so ist etwa die PC-7-Staffel der Schweizer Luftwaffe zu sehen –, Ausstellungen und mehrere Festbeizlein, in denen die Dorfvereine wirten.Die Veranstalter empfehlen, mit dem öffentlichen Verkehr anzureisen: ab Liestal mit der Walden­burgerbahn bis Waldenburg und von dort mit dem Bus nach Langenbruck oder via Olten – Oensingen mit den SBB nach Balsthal und von dort weiter mit dem Bus.

Dem in Brig gestarteten peruanisch-französischen Piloten Chavez gelang es am 23. September 1910 im zweiten Anlauf zwar, mit seinem Blériot-XI-Eindecker über den Simplon nach Domodossola zu fliegen. Beim Landemanöver fand sein Flug aber ein böses Ende. Ein plötzlicher Windstoss brachte das Flugzeug zum Kippen. Chavez wurde mit mehreren Knochenbrüchen aus den Trümmern geborgen. Vier Tage später erlag er unerwartet seinen Verletzungen. Erst Oskar Bider (1891–1919) sollte drei Jahre später glücken, was Chavez misslang.

Chavez’ Absturz tat der weitverbreiteten Flugbegeisterung kaum Abbruch, auch nicht beim schönen Geschlecht. So konnten die Leserinnen und Leser den «Basler Nachrichten» vom 26. September 1911 entnehmen, dass «Fräulein Beese, die erste deutsche Pilotin», an einem Flugtag in ­Johannistal bei Berlin einen neuen Flugrekord aufstellte, «indem sie 2 Stunden und 19 Minuten in der Luft blieb».

Landung im Birnbaum

Es wurden aber auch biedere Schweizer vom Flugvirus befallen. Einer von ihnen war Theodor Real, Inhaber des schweizerischen Pilotenbrevets Nr. 4. Real flog im Mai 1911 mit einem Euler-Doppeldecker von Darmstadt nach Basel. Die Nachricht von seiner Landung löste eine kleine Völkerwanderung nach dem Gut Brüglingen aus, in dessen Schuppen Real sein Flugzeug bis zum Weiterflug nach Bern eingestellt hatte.

Dieser verlief allerdings nicht wie geplant, sondern fand bereits am Hauenstein bei Läufelfingen (BL) in den Ästen eines Birnbaums ein vorzeitiges Ende. Real blieb unverletzt und wurde 1914 Kommandant der Schweizer Fliegertruppe.

Dass Oskar Bider zu einer – wenn nicht gar der – Ikone der frühen Schweizer Aviatik wurde, dürfte die Menschen seiner Heimatgemeinde Langenbruck überrascht haben. Zunächst deutete nämlich nichts darauf hin, dass Bider Flieger werden wollte.

Am Zenit seines Ruhms scheiterte Bider am Übermut.

In den Jahren 1908 bis 1910 erwarb sich der Sohn eines wohlhabenden Tuchhändlers das landwirtschaftliche Diplom. Anschliessend war er auf verschiedenen Bauerngütern tätig. Doch 1910 ergriff ihn das Flugfieber. Rückblickend hielt er dazu fest: «Als ich von dem grossartigen Fluge über den Simplon hörte, welchen der kühne Chavez vollbracht, erwachte in mir ein Gedanke, den ich nicht mehr loswerden konnte. Der Sieg, den der mutige Südamerikaner errungen, war nicht umsonst, und sein Tod sollte gerächt werden. Neben Real war es Chavez, der in mir den Gedanken wachgerufen, das Fliegen zu erlernen.»

Den Gedanken konnte Bider nicht sofort in die Tat umsetzen, zu sehr lehnten sein Vater und sein Onkel das Vorhaben ab. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1911 – die Mutter war bereits 1907 verstorben – und einem anschliessenden Jahr als Gaucho in Argentinien war es dann aber so weit.

Flugbrevet in einem Monat

Am 8. November 1912 trat Bider in die Fliegerschule von Louis Blériot in Pau (F) ein, und bereits am 8. Dezember 1912 erhielt er das Flugbrevet. Nun erwarb er für 26 000 Franken einen Blériot-Eindecker und startete am 23. Januar 1913 von Pau aus zu einem Flug über die Pyrenäen nach Madrid. Nach einer Zwischenlandung in Guadalajara traf er nach fünfeinhalb Stunden in der spanischen Hauptstadt ein. Dieser Flug machte ihn zu einem Star der frühen Luftfahrt.

Wie das Lernflugzeug von Bider aussieht, zeigt dieses Video:

Sein Flug von Bern nach Mailand über die Alpen, den er am 13. Juli 1913, einen Tag nach seinem 22. Geburtstag, unternahm, sollte seinen Stern noch heller strahlen lassen. In Mailand wurde er vom Stadtpräsidenten empfangen, dem er ein Schreiben von dessen Berner Amtskollegen übergab. Bei seiner Rückkehr in die Schweiz am 27. Juli begrüssten ihn in Basel auf der Schützenmatte drei Regierungsräte und eine jubelnde Menge; später am Tag in Bern waren es Tausende, die den unerschrockenen Flieger sehen wollten. Der Bundesrat dankte ihm in einem Schreiben «für die hervorragenden Leistungen auf dem Gebiet der Flugtechnik» und ehrte ihn mit einer goldenen Uhr.

Bruchlandung und Todesflug

Oskar Bider war ein kühner, aber kein tollkühner Pilot. Sowohl vor seinem Pyrenäen- wie vor seinem Alpenflug informierte er sich aufs Genauste über die zu erwartenden Wetter- und Windverhältnisse. Aber auch umsichtige Piloten waren in jenen Tagen vor Bruchlandungen und Abstürzen nicht gefeit.

Das musste Bider schon kurz nach seinem triumphalen Alpenflug erleben. Am 10. September 1913 verloren er und sein Beobachter Hauptmann Real während eines militärischen Nachtflugs die Orientierung. Bei der Notlandung in Oberlindach (BE) kollidierte Biders Blériot mit einem Leitungsmast und ging in Trümmer. Bider und Real hatten Glück im Unglück: Der Unfall hatte keine schlimmen Folgen für sie, und die Eidgenossenschaft ersetzte Bider den Schaden.

Weniger Glück hatte Bider am Morgen des 7. Juli 1919. Für einmal liess er es an der nötigen Umsicht fehlen. Wie Ikarus, der zu nahe an der Sonne flog, wagte er im Übermut zu viel und stürzte ab.

Bider hatte den Vorabend mit seiner Schwester Leny und Freunden im Zürcher Restaurant Bellevue verbracht. Anschliessend waren er und ein Teil der Männer nach Dübendorf gefahren. Dort offerierte Bider im Casino ein kaltes Buffet, zu dem auch einige Flaschen Wein gehörten.

Gegen halb fünf anerbot sich Bider, ein paar Kunststücke mit dem Nieuport-Jagdflugzeug vorzuführen. Nach einem flotten Start zeigte er seine bekannten Figuren, bis das Flugzeug bei einem seitlichen Überschlagen um die Längsachse überdrehte und in eine Vrille, einen korkenzieherartigen Abstieg mit Drehen um die eigene Achse, überging und schliesslich am Boden zerschellte. Bider war sofort tot.

Auf die Nachricht vom Todesflug ihres Bruders nahm sich Leny Bider, die sehr an Oskar hing, das Leben. Die beiden fanden in einem gemeinsamen Grab auf dem Friedhof in Langenbruck ihre letzte Ruhestätte.

Bider stürzte mit einer Nieuport ab, noch heute gibt es aber ähnliche flugtaugliche Exemplare der Nieuport (im Video eine Nieuport 17):

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.06.13

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