Ikone der Arbeiterbewegung zu Grabe getragen

Vor hundert Jahren starb der deutsche Sozialdemokrat August Bebel, eine zentrale Figur der europäischen Arbeiterbewegung, während eines Kuraufenthalts in Graubünden. Seine Beerdigung in Zürich war ein Medienereignis.

August Bebel in seinem Todesjahr. (Bild: Schweizer Illustrierte Zeitung)

Vor hundert Jahren starb der deutsche Sozialdemokrat August Bebel, eine zentrale Figur der europäischen Arbeiterbewegung, während eines Kuraufenthalts in Graubünden. Seine Beerdigung in Zürich war ein Medienereignis.

August Bebel prägte während mehrerer Jahrzehnte die deutsche und die europäische Arbeiterbewegung in starkem Masse. Sein Tod berührte viele Menschen, sein Begräbnis am 17. August 1913 in Zürich war ein öffentliches Ereignis ersten Ranges. Dass Bebel, der während vieler Jahre dem Deutschen Reichstag angehörte, nicht in Deutschland, sondern wie bereits zuvor schon seine Frau Julie in Zürich beigesetzt wurde, mag erstaunen. Der Grund ist darin zu suchen, dass sich Frieda, Bebels einzige Tochter, mit ihrem Mann in der Stadt an der Limmat niedergelassen hatte und Bebel vielfältige Beziehungen in die Schweiz hatte.

Bereits am Morgen des 17. August hatten Aberhunderte im Zürcher Volkshaus, wo sein Sarg in einem «Palmenhain» stand, vom Verstorbenen Abschied genommen. Am Nachmittag dann geleitete ihn ein imposanter Zug zum Zürcher Zentralfriedhof. «Nicht weniger als 220 Fahnen», berichtete der «Basler Vorwärts», «wurden im Zug getragen, der wohl an die 20’000 Teilnehmer zählte. Die Spalier bildende Menge, die auf dem zwei Stunden langen Weg des Zuges dicht und lückenlos die Strassen einsäumte, war so gewaltig, dass ihre Zahl nicht einzuschätzen ist.»

Kinematographische Berichterstattung

Die Zeitungen berichteten ausführlich über die Trauerfeierlichkeiten. Bei der auf Fotos spezialisierten «Schweizer Illustrierten Zeitung» schaffte es die letzte Aufnahme des greisen Bebel gar auf die Titelseite. Auch die Filmindustrie, die damals noch in den Kinderschuhen steckte, rechnete damit, dass Bebels Beisetzung beim Publikum auf ein reges Interesse stossen würde. In Basel liefen gleich in zwei Kinos entsprechende Produktionen. Das Cardinal-Theater zeigte «eine vollständige kinematographische Berichterstattung» der Beisetzungs-Feierlichkeiten für den «Reichstags-Abgeordneten August Bebel in Zürich am 17. August», während das Kino Fata Morgana  für seine «ausführliche Berichterstattung» mit «bestgelungenstenen eigenen und fremden Aufnahmen» warb.

Vom Drechsler zur politischen Leitfigur

Dieses grosse öffentliche Interesse an Bebels Person erklärt sich aus seiner Lebensgeschichte und dem Aufschwung der Arbeiterbewegung, die er überzeugend verkörperte.

Bebel, der in jungen Jahren zunächst den Vater, dann bald darauf den Stiefvater und schliesslich die Mutter verloren hatte, war gelernter Drechsler. Bis 1888 führte er zusammen mit seiner Frau Julie eine kleine erfolgreiche Drechslerwerkstatt, dann hängte er den Beruf an den Nagel und widmet sich nur noch der Politik. Diese hatte ihn zuvor schon stark in Anspruch genommen.

Begonnen hatte Bebels Engagement in den 1860er-Jahren. Zunächst beteiligte er sich am Aufbau von Arbeiterbildungsvereinen, 1866 war er bei der Gründung der Sächsischen Volkspartei dabei, 1869 bei derjenigen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Kaum zwei Jahre später wurde Bebel erstmals in den Deutschen Reichstag gewählt, dem er mit Ausnahme der Jahre 1881-1883 bis zu seinem Tod angehören sollte.

Mit dem Schwung der Arbeiterbewegung

Ein Artikel im «Basler Vorwärts» versuchte Bebels Popularität  und seine Stellung in der Partei folgendermassen auf den Punkt zu bringen: «Eine fast fünfzigjährige Erfahrung, verbunden mit einer genialen Begabung, hatte ihm den feinsten Sinn verliehen für das, was die Massen erstrebten und empfanden. Nicht weil Bebel Bebel war, sondern weil man vermuten durfte, dass sich seine Überzeugung mit den Wünschen und Meinungen Unzähliger deckte, konnte sein Wort so oft ausschlaggebend wirken.»

Ohne sein politisches Gespür, seine organisatorischen Fähigkeiten und seinen Witz hätte Bebel nie eine derart überragende Stellung erlangen können. Ebenso entscheidend war, dass immer wieder Teile der Gesellschaft in Bewegung gerieten und dass sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts namentlich die Arbeiterschaft in unzähligen Vereinen «vernetzte». Dieser Aufbruch erzeugte den Schwung, der die deutschen Sozialdemokraten von (Wahl-)Erfolg zu (Wahl-)Erfolg eilen liess, und es erst möglich machte, dass Menschen wie Bebel Ikonen wurden.

Vorerst nicht zu bremsen

Die Gegner versuchten den Vormarsch der Sozialdemokraten zu stoppen. Dabei scheuten sie auch nicht vor der Anwendung polizeistaatlicher Mittel zurück und trieben die Partei mit den Sozialistengesetzen vorübergehend in den Untergrund. Sie bewirkten damit langfristig aber nur das Gegenteil.

August Bebel sass mehrmals im Gefängnis, von seinen Überzeugungen liess er sich dadurch nicht abbringen. Vielmehr nutzte er die unfreiwillige Musse, um Bücher zu schreiben. Hinter Gittern entstand sein Long- und Bestseller «Die Frau und der Sozialismus» oder sein heute weitgehend vergessenes Buch über den französischen Frühsozialisten Charles Fourier.

Ende einer Epoche

Rückblickend kann man sich nur schwer des Gefühls erwehren, dass mit Bebels auch eine ganze Epoche zu Grabe getragen wurde. Im Herbst des Vorjahres war auf dem Balkan ein Krieg ausgebrochen, der viele befürchten liess, es könnte daraus ein verheerender Krieg zwischen den Grossmächten werden. Die europäische Sozialdemokratie hatten damals mit dem Internationalen Sozialistenkongress von Basel reagiert und grosse Antikriegsdemonstrationen organisiert. Im August 1913 schien die Gefahr eines Kriegs zwischen den Grossmächten gebannt. Eine Illusion, wie sich im August 1914 zeigen sollte.

Aus Anlass des 100. Todesjahrs von August Bebel ist im Zürcher Rotpunktverlag von Jürgen Schmidt die Biografie «August Bebel – Kaiser der Arbeiter» erschienen. Schmidt interessiert sich für die einzelnen Stationen auf dem Bebels Weg nach oben und zeichnet die Bedingungen nach, unter denen Bebel vom Handwerksgesellen zum Politstar werden konnte. Schmidts Buch ist durchaus lesenswert, wird aber dem Reichtum von Bebels politischen Wirken und Ansichten nicht völlig gerecht.

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