Im zweitwichtigsten Wettbewerb, dem Concorso Cineasti del presente, ist am Donnerstag in Locarno der Schweizer Film «Il nido» uraufgeführt worden. Die Regisseurin liess sich vom Fall Luca inspirieren, dem Jungen, der angeblich vom Familienhund schwer verletzt wurde.
2002 fand eine Mutter in Veysonnaz VS ihren siebenjährigen Sohn Luca halbtot und nackt im Schnee liegend. Obwohl der Junge ebenso wie sein kleiner Bruder angaben, Dorfkinder seien die Angreifer gewesen, gilt bis heute der Hund als der Schuldige. Luca ist seit dem Vorfall Tetraplegiker und blind.
Angenommen, die Täter wären wirklich Kinder gewesen, warum ist dann die Wahrheit nie ans Licht gekommen, fragt sich Regisseurin Klaudia Reynicke? Sie verlegt die Handlung in ein bigottes Tessiner Wallfahrtsnest, das sich gerade auf die Feier zum 90. Jahrestag einer Marienerscheinung vorbereitet.
Die Auslegeordnung ist klassisch: Ein Fremder taucht auf und die Dorfgemeinschaft beginnt nervös zu scharren. Offenbar hat man etwas zu verbergen, und offenbar will der Fremde ungesühntes Unrecht rächen.
Generationen-Konflikt
Die Einzige im Dorf, die diesem Saverio ungezwungen begegnet, ist die 19-jährige Studentin Cora. Die Tochter des Bürgermeister jobbt vorübergehend als Fremdenführerin im Pilger-Business ihrer Grossmutter. Von Saverio erfährt Cora, dass sein Bruder hier vor 40 Jahren von drei Buben lebensgefährlich verletzt worden sei.
Der Rest ist vorhersehbar. Die Enthüllung schreitet zügig voran, Spannung kommt selten auf. Als Geschichte eines Generationenwechsels ist sie etwas allzu einfach: Die Alten sind die Konservativen, Fremdenfeindlichen, Verlogenen und die junge Cora die Tolerante, Weltoffene, Ehrliche. Die Frömmsten sind natürlich die Schlimmsten. Und das Küken muss auf die harte Tour flügge werden.
Etwas gar konventionell
Das grosse Kapital des Films ist das Ensemble: Die Newcomerin Ondina Quadri hinterlässt als Protagonistin einen souveränen Eindruck, Fabrizio Rongione (Saverio), einer der Lieblings-Schauspieler der Gebrüder Dardenne, sowieso.
«Il nido» ist eine solide Regie-Arbeit, für einen Festival-Wettbewerb allerdings zu konventionell.