Im internationalen Wettbewerb in Locarno: «Gare du Nord»

Ein Pendler-Bahnhof ist wie ein Dorf. Routine, Alltag, Einheimische, Fremde. So zumindest will Claire Simon Der Bahnhof ist für Claire Simon ein grosses Dorf. Am «Gare du Nord» in Paris verfolgt die Regisseurin die kleinen Begebenheiten und die grossen Konflikte für ein kleines «Global Village»: Unter den Reisenden und Pendlern und Obdachlosen findet sie den […]

Claire Simon

Ein Pendler-Bahnhof ist wie ein Dorf. Routine, Alltag, Einheimische, Fremde. So zumindest will Claire Simon

Der Bahnhof ist für Claire Simon ein grosses Dorf. Am «Gare du Nord» in Paris verfolgt die Regisseurin die kleinen Begebenheiten und die grossen Konflikte für ein kleines «Global Village»: Unter den Reisenden und Pendlern und Obdachlosen findet sie den Vater, der seit Tagen nach seiner pubertierenden Tochter sucht, die Sicherheitsbeamte,die ihren Hund liebt, die ältere Frau, die ihre letzte Reise nicht antreten will, die junge Mutter, die gerade den Zusammenhalt ihrer Familie der Arbeit opfert und viele mehr.

Was im Bahnhof täglich aneinander vorbeirennt, abreist, sich einfindet, oder einfach nur endgültig strandet stellt Claire Simnon zu einem bunten Spiel von Zufall und Liebe zusammen. Dabei ist die Geschichte von Ismael, der auf dem Gelände des Bahnhofes eine Befragung durchführt, so etwas wie die Boie im Fluss. Er hält die Geschichte immer wieder am Boden fest.

Die ganze Gesellschaft ist am Bahnhof abgebildet

Ismael gibt auch zu Beginne eine Art Poetik dieses Films: Er will nicht eine «globale Spurensicherung im Kontext urbaner Lebensformen und performativer Regelbildungen» schreiben, wie sein Professor der Soziologie es von ihm erwartet, sondern er will einfach nur sein Impressionen-Album vollkritzeln. Ismael kennt jeden, er fragt jeden, er ist jedem bekannt. Ismael bestimmt auch die ersten Stationen in diesem Kaleidoskop. Als er Mathilde zum ersten Mal trifft, ist sie noch eine scheue Unbekannte. Als er beim letzten Treffen verpasst, würde er sein Leben dafür geben, ihre Stimme noch einmal zu hören.

Wir  sehen, wie immer, solide französische Schauspieler: Nicole Garcia gibt das zerbrechliche Portrait einer in die Jahre gekommenen Schönheit. François Damien darf gewohnt unbeholfen seine Vatergefühle entwickeln. Reda Kateb öffnet uns mit seinen Fragen viele Antworten. Trotzdem bleibt der Bilderbogen, auch wenn die Geschichten kunstvoll verwoben sind, langfädig: Es fehlt ihm letztlich das, was Bahnhöfen innewohnt: Der Zauber des Aufbruchs, das Geheimnis des Stillstands. Was wir sehen, sind schliesslich doch nur Episoden eines Dorflebens. Auch wenn hin und wieder darin ein Magier zu wirken scheint, fehlen ihm die magischen Augenblicke.

 

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