Mehr als doppelt so viele K.o.-Runden-Spiele als bislang gibt es an der EM in Frankreich: 15 statt 7. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass Partien im Penaltyschiessen entschieden werden.
Bislang gab es bei einer EM 15 Mal eine Entscheidung mittels «Elfmeter-Lotterie», alleine vier davon 1996 in England. Die beste Bilanz weist der dreimalige Europameister Spanien mit drei Siegen in vier Anläufen auf. Am schlechtesten schneiden die diesmal abwesende Niederlande und England mit je einem Sieg und drei Niederlagen ab. Die «Three Lions» verpassten bei drei der letzten vier EM-Teilnahmen den Vorstoss in die nächste Runde aufgrund eines verlorenen Penaltyschiessens.
Vor vier Jahren in den Viertelfinals gegen Italien waren Ashley Young und Ashley Cole die Leidtragenden, 2004 in Portugal – ebenfalls in der Runde der letzten acht – drosch zunächst David Beckham gegen die Gastgeber seinen Penalty über das Tor, ehe Darius Vassells Versuch von Ricardo abgewehrt wurde.
Auch 1996 im eigenen Land musste England in den Viertelfinals ins Penaltyschiessen. Alan Shearer, David Platt, Stuart Pearce, Paul Gascoigne – sie alle trafen im Wembley. Zwei Spanier verschossen. England im Halbfinal, Penaltydrama überstanden. Wer soll den Weltmeister von 1966 auf dem Weg zum EM-Titel im eigenen Land jetzt noch aufhalten können? Deutschland! Natürlich im Penaltyschiessen – wie sechs Jahre zuvor bei der WM in Italien. Bei je sechs Schützen brachte einzig Gareth Southgate den Ball nicht im Tor unter.
Die Penalty-Entscheidungen an Europameisterschaften im Überblick:
1976: Final in Belgrad, Tschechoslowakei – Deutschland 5:3. – Bei der Premiere gehen zwei Schüsse in die Geschichte ein. Erst donnert Uli Hoeness seinen Penalty in den Belgrader Nachthimmel. Anschliessend hebt Antonin Panenka den Ball lässig in die Tormitte. Noch heute ist Panenka Namensgeber für diese Art des Elfmeters, mit der der Schütze stets zwischen Genie und Lächerlichkeit schwebt.
1980: Spiel um Platz 3 in Neapel, Tschechoslowakei – Italien 9:8. – Von 18 Penaltys landet nur ein Versuch nicht im Tor. Der italienische Innenverteidiger Fulvio Collovati scheitert an Jaroslav Netolicka, Jozef Barmos sichert der Tschechoslowakei danach mit seinem verwandelten Elfmeter den 3. Platz – und den zweiten Penaltysieg nach jenem im Final gegen Deutschland vier Jahre zuvor.
1984: Halbfinal in Lyon, Spanien – Dänemark 5:4. – Preben Elkjaer Larsen schiesst den Ball als fünfter Schütze Dänemarks über das Tor, der nach einer Stunde eingewechselte Manuel Sarabia sichert den Spaniern danach den Finaleinzug. Kleiner Trost für Larsen: Aufgrund seiner starken Leistung im Turnier erreicht er 1984 den 3. Platz bei der Wahl zu Europas Fussballer des Jahres (hinter den französischen Europameistern Michel Platini und Jean Tigana).
1992: Halbfinal in Göteborg, Dänemark – Niederlande 5:4. – Die Titelverteidiger aus den Niederlanden unterschätzen die Dänen masslos. Sie geraten noch vor der Pause zweimal in Rückstand, retten sich aber immerhin in die Verlängerung und ins Penaltyschiessen. Dort treffen neun von zehn Spielern. Nur einer scheitert: Der Beste, Marco van Basten.
1996: Viertelfinal in London, England – Spanien 4:2. – Spaniens Fernando Hierro schiesst den ersten Penalty an die Latte. Stuart Pearce tritt als dritter Engländer an – im WM-Halbfinal 1990 gegen Deutschland versagten ihm noch die Nerven. Der Verteidiger trifft diesmal aber und brüllt seine Erleichterung heraus. David Seaman hält gegen Rafael Nadals Onkel Miguel Angel – England gewinnt im Elfmeterschiessen. Das letzte Mal bis heute.
1996: Viertelfinal in Liverpool, Frankreich – Niederlande 5:4. – In Anfield verwandeln alle fünf französischen Schützen ihren Versuch, bei den Niederländern scheitert der nach einer Stunde für Dennis Bergkamp eingewechselte Clarence Seedorf an Goalie Bernard Lama.
1996: Halbfinal in Manchester, Tschechien – Frankreich 6:5. – Vier Tage nach ihrem Penalty-Triumph über die Niederlande stehen die Franzosen auf der Verliererseite. Reynald Pedros scheitert mit seinem Versuch an Petr Kouba, Miroslav Kadlec schiesst die Tschechen kurz danach in den Final.
1996: Halbfinal in London, Deutschland – England 6:5. – Die ersten fünf Schützen auf beiden Seiten verwandeln sicher. Gareth Southgate schiebt in die Arme von Deutschlands Goalie Andreas Köpke, Andreas Möller trifft und baut sich triumphierend vor den Fans auf.
2000: Halbfinal in Amsterdam, Italien – Niederlande 3:1. – Das niederländische Elfmeter-Drama geht weiter. Wie schon bei der EM 1992 und 1996 sowie bei der WM 1998 scheitert «Oranje» auf diese Weise – doch gegen Italien wird es beim Heimturnier besonders schlimm. Frank de Boer und Patrick Kluivert treffen gegen zehn Italiener in der regulären Spielzeit vom Penaltypunkt aus nicht, dann scheitern wieder De Boer, Jaap Stam und Paul Bosvelt.
2004: Viertelfinal in Lissabon, Portugal – England 6:5. – Nachdem David Beckham und Rui Costa ihre Elfmeter über das Tor schiessen, beginnt die Show von Portugals Ricardo. Ohne Goaliehandschuhe hält der portugiesische Torhüter den Versuch von Darius Vassell und verwandelt selber eiskalt. «Nachdem ich drei Elfmeter in die Mitte bekommen hatte, musste ich etwas ändern», erklärt Ricardo die ungewöhnliche Aktion.
2004: Viertelfinal in Faro, Niederlande – Schweden 5:4. – Die Niederlande kann doch vom Penaltypunkt aus siegen. Zwar trifft Philip Cocu nur den Pfosten, doch die Schweden verwandeln zwei Penaltys nicht: Der damals 22 Jahre alte Zlatan Ibrahimovic drischt den Ball über das Tor, Captain Olof Mellberg sieht seinen Versuch von Edwin van der Sar abgewehrt.
2008: Viertelfinal in Wien, Türkei – Kroatien 3:1. – Schon die Verlängerung ist hoch spektakulär. Kroatien wähnt sich nach dem Treffer von Ivan Klasnic (119.) im Halbfinal, doch die Türkei schlägt in der zweiten Minute der Nachspielzeit durch Semih Sentürk zurück. Geschockt verlieren die Kroaten völlig die Nerven: Luka Modric, Ivan Rakitic und Mladen Petric treffen nicht.
2008: Viertelfinal in Wien, Spanien – Italien 4:2. – Es ist eigentlich der spanische Unglückstag. Dreimal verloren die Iberer zuvor am 22. Juni ein Elfmeterschiessen – doch Iker Casillas wird zum grossen Helden. In der Hitze von Wien hält er gegen Daniele De Rossi und gegen Antonio Di Natale.
2012: Viertelfinal in Kiew, Italien – England 4:2. – Englands EM-Tragödie, Teil 3. Italien liegt hinten – dann versetzt Andrea Pirlo den Engländern und Torhüter Joe Hart per Panenka einen «psychologischen Schlag». «Ich musste etwas tun, weil er so selbstsicher aussah», sagte Pirlo über Hart. Ashley Young und Ashley Cole scheitern – das sechste Penalty-Aus für England bei einer EM oder WM ist Tatsache.
2012: Halbfinal in Donezk, Spanien – Portugal 4:2. – Das Penaltyschiessen im EM-Halbfinal vor vier Jahren beginnt für den Titelverteidiger schlecht. Xabi Alonsos Elfmeter wird von Rui Patricio abgewehrt. Doch unmittelbar danach scheitert João Moutinho an Iker Casillas, wenig schiesst Portugals Verteidiger Bruno Alves an die Latte.