«Schreibe betrunken, überarbeite nüchtern», soll Ernest Hemingway (1899-1961) mal gesagt haben. Aber, braucht gute Literatur tatsächlich Alkohol? Eine Spurensuche im Deutschen Literaturarchiv in Marbach.
Rotweinflecken auf einem Manuskript von Paul Celan (1920-1970), Friedrich Schillers (1759-1805) Römerglas, seine recht lange Rechnung aus dem Gasthaus «Goldener Ochse» oder ein Brief, in dem sich Max Frisch (1911-1991) als «sehr alkoholisiert» outet. Die Nähe vieler Schriftsteller zum edlen Tropfen, vorzugsweise zum Wein, lässt sich kaum leugnen.
Vor allem im 19. Jahrhundert, aber auch heute: «Fast in jedem Nachlass finden wir was zu diesem Thema», berichtet Professorin Heike Gfrereis im Deutschen Literaturarchiv in der Schillerstadt Marbach bei Stuttgart. So schrieb Ernst Jünger (1895-1998) einst «In vino error» neben eine Überkritzelung in seinem Manuskript.
Im Schiller-Nationalmuseum auf der Marbacher Höhe finden sich diverse Weinrömer und Tabakdosen, die Schiller zugeschrieben werden, ebenso wie ein rotes Stirnband gegen Kopfschmerz.
Wein beflügelt angeblich, Schnaps lähmt
«Wein hat seit der Antike auch eine philosophisch-literarische Tradition», sagt Gfrereis. «Es ist eine Zeit lang schon fast guter Ton, dass sich Autoren mit der Zigarette und dem Weinglas darstellen lassen.»
Wein könne den Geist beflügeln, heisse es bis heute in der Szene, berichtet Hans Thill, Beisitzer im Präsidium des PEN-Zentrums Deutschland. «Und Schnaps lässt die Flügel hängen», ergänzt er. Wein gelte als «ein Mittel, das die normalen Sinne erweitert», sagt Gfrereis. Diese Funktion werde in der Literatur der Moderne dann zunehmend von Drogen übernommen.
Es geht auch ohne – sogar besser
Fast legendär ist die Berliner «Bücherbar», eine Verkaufsidee von Kurt Tucholsky (1890-1935): Eine Stunde vor der Lesung werden dort die zur Literatur passenden hochprozentigen Getränke ausgeschenkt.
Der Zusammenhang zwischen Promille und Poesie scheint sehr direkt. Doch: «Keiner schreibt, er musste Wein trinken, um sich die Zunge zu lösen oder die Gedanken zu befreien», berichtet Gfrereis. «Keiner setzt die Ursache mit der Wirkung gleich.» Das beruhigende Fazit: «Man kann gute Literatur auch nüchtern schreiben – vielleicht muss man sogar nüchtern dazu sein.»