Nach dem schweren Zugunglück im Norden Indiens ist die Zahl der Toten auf insgesamt 146 angestiegen. Am Montag bargen die Rettungskräfte mit Hilfe von Spürhunden nur noch Leichen aus den ineinander verkeilten Wagen des am Sonntag entgleisten Zugs.
Am Nachmittag dann stellten sie die Suche nach möglichen Überlebenden ein. Knapp 180 Menschen waren am Montag noch im Spital, von ihnen schwebten 60 in Lebensgefahr.
Der Patna-Indore-Express war kurz nach 3 Uhr Ortszeit am Sonntagmorgen in einem ländlichen Gebiet des nordindischen Bundesstaats Uttar Pradesh nahe der Ortschaft Pukhrayan entgleist. Viele Wagen verkeilten sich derart ineinander, dass sie nur mit Hilfe von Kränen und schwerem Räumgerät voneinander gelöst werden konnten.
Da viele Passagiere ohne Reservierung oder schwarz unterwegs waren, konnten die Behörden ihre Zahl nur schätzen. Sie gehen davon aus, dass zum Unglückszeitpunkt rund 2000 Passagiere im Zug waren.
Was den schweren Unfall auslöste, blieb weiter unklar. Aus dem Bahnministerium hiess es, dass marode Schienen den Zug zum Entgleisen gebracht haben könnten.
Patientenfotos auf WhatsApp
Angesichts des Behördenchaos‘ reisten Angehörige von Vermissten teilweise hunderte Kilometer weit an, um am Unglücksort auf eigene Faust nach Hinweisen über ihren Verbleib zu suchen.
Die Ärzte der verschiedenen Spitäler in der Umgebung richteten eine gemeinsame Gruppe auf dem Messengerdienst WhatsApp ein, über die sie Fotos ihrer Patienten verbreiteten. Mit ihrer Hilfe konnte die achtjährige Sejal Yadav mit ihrem grossen Bruder Rahul wiedervereint werden. Sie war mit ihrem Grossvater und zwei Onkeln in dem Unglückszug unterwegs gewesen und hatte als einzige überlebt.
Viele der Überlebenden sind schwer traumatisiert, wie etwa der elfjährige Abhay Srivastava, der seine Eltern und seine beiden Schwestern verlor. Er litt unter schweren Schmerzen und verlangte immer wieder nach seiner Mutter.
Untersuchung angekündigt
«Viele Menschen haben ihr Leben verloren oder wurden verletzt», sagte Ministerpräsident Narendra Modi. «Die Regierung in Neu Delhi wird in der Sache ermitteln.» Auch Bahnminister Suresh Prabhu ordnete eine umfassende Untersuchung des Unglücks an. Den Schuldigen drohe die «höchstmögliche Strafe», sagte er vor dem Parlament in Neu Delhi.
Das Büro des Premierministers, das Bahnministerium und die Regierungen der beiden Bundesstaaten, durch die der Zug fährt, kündigten Kompensationszahlungen für die Betroffenen an. Insgesamt sollen Angehörige der Todesopfer pro Fall 1,25 Millionen Rupien (rund 18’500 Franken) erhalten.
Die Staatsoberhäupter der umliegenden Länder wie Bangladesch und Nepal drückten noch am Tag des Unfalls ihr Beileid für die Opfer aus. Auch die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini äusserte sich dazu: «Die EU steht bei der Bewältigung dieser Krise hinter den Behörden und Menschen in Indien.»
«Lebensader der Nation»
Die Bahn ist Indiens wichtigstes Transportmittel. Sie transportiert jeden Tag rund 23 Millionen Menschen in mehr als 12’000 Zügen. Das mehr als 90’000 Kilometer lange Schienennetz wird oft als «Lebensader der Nation» bezeichnet, da Inder aller Kasten und Klassen es benutzen.
Das System ist jedoch veraltet und marode, oftmals fehlt es an den einfachsten Sicherheitsvorkehrungen. Seit der Unabhängigkeit Indiens im Jahr 1947 wurden kaum neue Gleise verlegt, da die Bahn damit beschäftigt ist, das vorhandene Netz zu erhalten. Jährlich müssen rund 4500 Kilometer erneuert werden.
Immer wieder kommt es bei der indischen Bahn zu Unfällen mit vielen Toten. Laut einem Regierungsbericht aus dem Jahr 2012 sterben jedes Jahr 15’000 Menschen bei Zugunglücken.