Mit der Bestimmung eines neuen Übergangsregierungschefs ist in die monatelange politische Krise in Tunesien Bewegung gekommen. In einer Abstimmung bei den Parteiengesprächen wurde der bisherige Industrieminister Mehdi Jomaâ mit der Regierungsbildung beauftragt.
Seine Aufgabe ist es nun, Tunesien in baldige Neuwahlen zu führen. Dies teilte die als Vermittlerin auftretende Gewerkschaft UGTT am Samstag mit.
«Der Dialog hat zu einer Abstimmung geführt, aus der Mehdi Jomaâ für den Posten als Regierungschef hervorgegangen ist», sagte UGTT-Generalsekretär Houcine Abassi. «Unser Volk hat lange gewartet, aber trotz der Schwierigkeiten und Hindernisse ist der Dialog nicht gescheitert», fügte er hinzu.
Tunesien steckt seit dem Mord an dem linken Oppositionellen Mohammed Brahmi Ende Juli in der Krise. Dieser wurde zwar radikalen Salafisten angelastet, doch die Opposition macht die regierende Islamistenpartei Ennahda von Ministerpräsident Ali Larayedh mitverantwortlich für die Gewalt.
Lähmung des Landes beenden
Eine Expertenregierung soll nun die Lähmung des Landes beenden. Der Fahrplan für den nationalen Dialog sieht neben der Bildung einer Übergangsregierung aus Fachleuten binnen 15 Tagen vor, dass innerhalb eines Monats eine neue Verfassung angenommen, das Wahlrecht reformiert und der Weg zu Neuwahlen im kommenden Jahr festgelegt wird.
Von den 21 am nationalen Dialog beteiligten Parteien stimmten am Samstag 20 für Jomaâ. Lediglich die Partei Nidaa Tounes boykottierte die Abstimmung. Zur Begründung hiess es, dass ein amtierender Minister aus Larayedhs Regierung ungeeignet sei. Jomaâ sei «kein Ministerpräsident im Konsens», sagte der ranghohe Nidaa-Tounes-Vertreter Issam Chebbi.
Die Ennahda von Regierungschef Larayedh gab sich staatstragend. Obwohl Larayedhs Regierung durch die Verfassungsversammlung mit Mehrheit gewählt worden sei, «haben wir eine unpolitische Regierung akzeptiert», sagte Ennahda-Chef Rached Ghannouchi. Er versprach, Tunesien werde zum «demokratischen Modell» in der Region werden.
Jomaâ bisher relativ unbekannt
Der nun mit der Regierungsbildung beauftragte Industrieminister Jomaâ ist in der breiten Öffentlichkeit relativ unbekannt. Er ist ausgebildeter Ingenieur und arbeitete lange Zeit in der Privatwirtschaft, unter anderem für eine Filiale des französischen Konzerns Total. Der 51-Jährige gehört seit März der Regierung an.
Als Industrieminister warb Jommaâ etwa in Europa um Investitionen. In die Öffentlichkeit drängte er sich nicht. Aufmerksamkeit erlangte er allerdings, als er die unpopuläre Entscheidung unterstützte, im kommenden Jahr die Benzinpreise zu erhöhen. Jomaâ ist verheiratet und hat fünf Kinder.
Am Freitag hatte der 92-jährige Mustapha Filali, der zunächst als Kompromisskandidat die Führung einer Expertenregierung übernehmen sollte, seine Nominierung abgelehnt. Da bis Samstag kein neuer Kandidat die Zustimmung aller beteiligten Parteien erhielt, wurde die Abstimmung angesetzt, aus der Jomaâ als Sieger hervorging.