Die islamistische Ennahdha-Partei hat mit riesigem Abstand die ersten freien Wahlen in Tunesien gewonnen. In Sidi Bouzid, wo der Arabische Frühling seinen Ausgang nahm, gab es gewalttätige Proteste, in der Hauptstadt Tunis Hupkonzerte und Jubel.
Die umstrittene Bewegung um Spitzenpolitiker Rachid Ghannouchi kommt auf 90 von 217 Sitzen in der verfassungsgebenden Versammlung. Wie aus dem amtlichen Endergebnis des Wahlgangs vom Sonntag hervorgeht, kam die Ennahdha auf 41,5 Prozent der Wählerstimmen.
Zweitstärkste Partei wurde die Mitte-Links-Partei „Kongress für die Republik“ (CPR) unter Führung des Medizinprofessors Moncef Marzouki mit 30 Sitzen. Auf Platz drei landete die sozialdemokratische Partei Ettakatol. Sie holte 21 Sitze.
Ennahdha ist auf die Zusammenarbeit mit anderen Parteien angewiesen. Die Koalitionsverhandlungen haben bereits begonnen. Weder die CPR noch Ettakatol sind einer Koalition abgeneigt. Ghannouchi will die Übergangsregierung im kommenden Monat bilden – Ziel sei eine Regierung der nationalen Einheit.
Angst vor Islamisierung
Die Abgeordneten der verfassunggebenden Versammlung sollen im kommenden Jahr ein Grundgesetz erarbeiten; danach soll es Parlaments- und Präsidentenwahlen geben. Zunächst muss die Versammlung jedoch ihren Präsidenten bestimmen, der dann den Chef einer Übergangsregierung ernennen soll.
Kritiker werfen der Ennahdha Fundamentalismus vor und glauben, sie wolle die Frauenrechte und die Meinungsfreiheit beschneiden. Ghannouchi betont jedoch, sich für die Rolle der Frauen „im politischen Entscheidungsprozess“ einzusetzen und nicht hinter bisherige Errungenschaften zurückzufallen. Nach seinen Angaben sitzen in der verfassunggebenden Versammlung 49 Frauen, 42 davon stammten aus der Ennahdha-Partei.
Die Ennahdha selbst vergleicht sich mit der islamisch-konservativen türkischen Regierungspartei AKP. Der von der Ennahdha nominierte Kandidat für das Amt des Übergangs-Regierungschefs, Hamadi Jebali, sprach sich gegen Alkoholverbote oder Kleidervorschriften aus. Die traditionellen Freiheiten seien „für Ausländer ebenso wie für Tunesier garantiert“, sagte Jebali in Anspielung auf den Tourismus, der zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen Tunesiens zählt.