Trotz massiver Rücktrittsforderungen hat der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk ein Misstrauensvotum knapp überstanden. Im Parlament in Kiew stimmten am Dienstag 194 Abgeordnete gegen den prowestlichen Politiker. Für eine Abwahl waren 226 Stimmen nötig.
Präsident Petro Poroschenko hatte Jazenjuk zuvor wegen einer verfehlten Reformpolitik mit Nachdruck zum Rücktritt aufgefordert. Die seit 2014 regierende proeuropäische Koalition gilt als brüchig. Anhänger von Jazenjuk betonen, die Krise im Land schränke den Handlungsspielraum ein.
Das finanziell schwache Land hängt am Tropf des Internationalen Währungsfonds (IWF). Zudem laugt ein Krieg gegen prorussische Separatisten das Land aus.
Vor dem Parlament in Kiew protestierten am Dienstag bei nasskaltem Wetter Hunderte gegen die Politik von Jazenjuk. Die Regierung hat bei Wählern unter anderem massiv an Rückhalt verloren, weil sie unter dem Druck des IWF die Energiekosten erhöhte. In Umfragen unterstützten zuletzt 70 Prozent der Bürger seine Entlassung.
Kritik auch aus dem Westen
Im Dezember wurde Jazenjuk zudem beschuldigt, im Gegenzug für einen Auftrag zur Umrüstung der Atomkraftwerke Schmiergeld von der tschechischen Firma Skoda angenommen zu haben. Auch aus dem Westen kommt zunehmend Kritik. Deutschland hatte am Montag ein Bekenntnis der ukrainischen Führung gefordert, den Reformweg fortzusetzen.
Jazenjuk warb im Parlament für seinen Kurs. «Zum ersten Mal in den vergangenen zwei Jahren gab es im dritten und vierten Quartal ein Wirtschaftswachstum», betonte er in einem rund 50 Minuten langen Rechenschaftsbericht. Rücktrittsforderungen wies er zurück.
«Die Lage ist schwierig, aber es gibt erste Zeichen einer Besserung.» Beobachter halten für wahrscheinlich, dass Jazenjuk noch in dieser Woche die Regierung umbildet, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.
In einer von persönlichen Angriffen geprägten Debatte kritisierte der Fraktionschef des Poroschenko-Blocks, Juri Luzenko, Jazenjuk scharf. «Dieses Land kann die Tatenlosigkeit der Regierung nicht weiter hinnehmen. Die Leute sehen, dass sich bei den Reformen nichts bewegt», sagte der Ex-Innenminister. Jazenjuk müsse zurücktreten.
Staatspräsident Poroschenko beklagte, das Land befinde sich in der Sackgasse. «Um das Vertrauen wiederherzustellen, reicht eine Therapie nicht länger – es bedarf der Chirurgie.» Zwar habe die Regierung einiges getan. «Doch die Gesellschaft hat entschieden, dass die Fehler zahlreicher sind als die Verdienste», sagte er. Die Koalition müsse eine neue Regierung bilden, Wahlen seien der «äusserste Fall».
Zweckbündnis
Die Zusammenarbeit von Poroschenko und Jazenjuk gilt als politisches Zweckbündnis. Ihre Meinungsverschiedenheiten vor allem in Personalfragen traten zuletzt aber deutlicher zutage. So drohte Jazenjuk mit Rücktritt für den Fall, sollte das Parlament gegen seinen Widerstand eine Änderung des Kabinetts beschliessen.
Poroschenko forderte unterdessen auch Generalstaatsanwalt Viktor Schokin zum Rücktritt auf. Ihm wird seit längerem vorgeworfen, Verfahren zu verschleppen. Schokin ist erst seit einem Jahr im Amt.
Unterdessen wurden an der Front im Osten des Landes drei ukrainische Soldaten getötet. Ein Militärsprecher sagte, die Kämpfe mit den prorussischen Rebellen um die Ortschaft Saitsewe seien eskaliert.
Er warf den Separatisten vor, seit Montag den geltenden Waffenstillstand in 79 Fällen verletzt zu haben. Die Rebellen warfen der Armee ihrerseits vor, Saitsewe mit Mörsern, Granaten und Panzern zu beschiessen.