Ärzte und Ärztinnen stehen häufig unter Zeitdruck und Stress. Sie müssen immer mehr Büroarbeit bewältigen, wie eine Umfrage nicht zum ersten Mal aufzeigt. Im Gegenzug erhalten Ärzte in den oberen Positionen mehr Boni – ein Trend, der auch Risiken birgt.
Jeder zweite Spitalarzt gab in der Umfrage an, meistens oder häufig unter Stress zu leiden, wie der Ärzteverband FMH am Mittwoch mitteilte. Der Stress habe seit 2013 bei allen Ärztegruppen zugenommen, am meisten jedoch bei den Psychiatern.
Darunter leiden nicht nur die Ärzte selbst, sondern manchmal auch die Patienten: Rund achtzig Prozent der befragten Ärzte haben nach eigenen Angaben den Eindruck, dass die Qualität der Patientenversorgung zumindest «hie und da» durch die hohe Arbeitsbelastung oder Zeitdruck beeinträchtigt wird.
Mehr Boni
Unerwünschte Nebenwirkungen auf die Patienten können unter Umständen auch Boni haben – wenn sie an die Anzahl Operationen geknüpft sind. In den Spitälern erhält laut der Umfrage rund ein Viertel der leitenden Ärzte Bonuszahlungen, bei den Chefärzten ist es ein Fünftel. Im Vergleich zu den Vorjahren hat insbesondere bei den Chef- und Oberärzten der Anteil der leistungsabhängigen Boni an der Lohnsumme zugenommen.
Problematisch sei die Situation, wenn Bonuszahlungen an die Anzahl Operationen geknüpft seien und so eine Mengenausweitung auslösen könnten, schreibt FMH. Unnötige Operationen sind gemäss der Studie zwar nach wie vor selten, werden in der Tendenz aber häufiger beobachtet.
Bürotisch statt Behandlungszimmer
Die Umfrage zeigt auch erneut auf, dass Spezialärzte immer mehr Zeit am Bürotisch statt mit dem Patienten verbringen. Ärztinnen und Ärzte der Akutsomatik wendeten 2015 durchschnittlich rund eine Viertelstunde mehr Zeit pro Tag mit Dokumentationsarbeiten auf als noch 2011 – also vor der Einführung der Fallpauschalen (Swiss DRG). Besonders betroffen sind die Assistenzärzte.
Ärzte der Akutsomatik wenden nur noch rund einen Drittel ihrer Zeit für patientennahe Tätigkeiten auf, in der Psychiatrie und der Rehabilitation ist es sogar nur ein Viertel. Diesen Trend gelte es zu stoppen, heisst es in einem Beitrag in der Ärztezeitung zur neusten Umfrage. Die Ärzteschaft könne nicht alle Probleme mit Überstunden auffangen, die Spitäler müssten ihre Prozesse stetig verbessern.
Eine Frage der Effizienz?
Aus Sicht von Barbara Züst, Co-Geschäftsführerin der Schweizerischen Stiftung SPO Patientenschutz, liessen sich die administrativen Aufgaben oft besser bewältigen. «Ich habe Zweifel, ob alle Ärzte effizient arbeiten, wenn es um Administratives geht», sagte sie auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda.
Manche Ärzte machten nach wie vor handschriftliche Notizen, auch seien viele Tools nicht aufeinander abgestimmt. «Die Einführung des elektronischen Patientendossiers wäre daher ein Schritt in die richtige Richtung», sagte Züst.
Der Spitalverband H+ wiederum spielt den Ball den Krankenkassen zu. Der administrative Aufwand steige primär wegen der Rückfragen durch Versicherer bei der Rechnungskontrolle und durch die Verweigerung von Kostengutsprachen oder Nachfragen, hiess es bei H+ auf Anfrage. Die Rückweisung von Rechnungen und der administrative Mehraufwand für Kostengutsprachen hätten in den vergangenen Jahren zugenommen.
Trotz der hohen Arbeitsbelastung ist die Mehrheit der Ärzte laut der Umfrage zufrieden mit ihrem Job. Die FMH führt dies auf die hohe Berufsidentifikation und die gute Zusammenarbeit im Team zurück.
Umfrage soll Fehlentwicklungen aufdecken
Die FMH lässt die Ärzte und Ärztinnen seit 2011 jährlich durch das Forschungsinstitut gfs.bern befragen. An der jüngsten Umfrage nahmen rund 1300 Ärztinnen und Ärzte teil. Die FMH will mit diesen Befragungen mögliche Fehlentwicklungen aufgrund der neuen Spitalfinanzierung frühzeitig erkennen.
Seit Januar 2012 gilt im Zusammenhang mit der neuen Spitalfinanzierung schweizweit das neue Tarifsystem für stationäre Spitalleistungen. Bei Fallpauschalen wird jeder Spitalaufenthalt anhand von Kriterien wie beispielsweise Diagnose und Behandlung einer Fallgruppe zugeordnet und pauschal vergütet.