Der Rubel verliert an Wert, die Preise steigen drastisch. Die Wirtschaftskrise trifft die Russen im Alltag, trotzdem bejubeln sie Putin, Schuld ist der Westen.
Es ist ein Gespräch, wie es derzeit viele russische Familien führen: Zwei Frauen, zwei Generationen. Larissa und ihre Mutter sitzen am Küchentisch. Sie reden über den Rubel, der weiter an Wert verliert. «Ich bemerke das, wenn ich in den Supermarkt gehe», sagt Larissa, 54 Jahre alt und Mutter von vier Kindern. «Die Preise sind zum Teil in astronomische Höhen geschossen.»
Larissa muss für Grundnahrungsmittel oft das Anderthalbfache bezahlen als noch im vergangenen Herbst. Einzelne Produkte sind sogar noch teurer geworden: Kostete ein Kilo Birnen in einem Moskauer Supermarkt im November noch 65 Rubel (umgerechnet 85 Rappen), muss Larissa inzwischen 270 Rubel (über 3.50 Franken) dafür hinlegen. Im kommenden Frühjahr könnte die Inflationsrate nach Schätzungen des Wirtschaftsministeriums auf bis zu 17 Prozent klettern.
EU droht mit neuen Sanktionen
Ein Ende der Krise ist nicht absehbar. Russlands Wirtschaft schrumpft, erst Anfang der Woche stufte die Ratingagentur Standard and Poor’s das Land auf Ramschniveau herab. Schuld daran ist vor allem der sinkende Ölpreis. Und nach dem Beschuss der ostukrainischen Stadt Mariupol durch pro-russische Separatisten droht die EU mit neuen Sanktionen, wobei bislang unklar ist, ob damit auch neue wirtschaftliche Druckmittel gemeint sind.
Die krisenerprobten Russen wissen sich zu helfen: Anstatt in die Alpen fahren sie über die Feiertage zum Skiurlaub in die Olympiastadt Sotschi. Einige haben begonnen, Nahrungsmittelvorräte anzulegen. Doch trotz der Krise tauschen sie ihre Ersparnisse nicht in andere Währungen, wie eine Umfrage ergab.
Ausserhalb von Moskau ist die Lage entspannter
Larissa lebt mit ihrer Familie in Moskau, ihre Mutter Sinaida in einer Kleinstadt, 500 Kilometer südwestlich von der russischen Hauptstadt. Dort ist die Lage etwas entspannter. «Milch, Käse und Äpfel aus Polen sind aus den Geschäften verschwunden», sagt die 80-Jährige, «aber wir haben unsere eigenen Waren.» Sie spüre keine Veränderungen im Alltag. «Die Regierung zahlt genug Geld, wir haben hier keine Probleme.»
Putins Beliebtheit liegt seit Monaten bei 80 Prozent und darüber. Selbst wenn einige Beobachter den wirklichen Zuspruch geringer schätzen, ist der Rückhalt in der Bevölkerung, besonders auf dem Land, hoch. Eine Befragung des unabhängigen Moskauer Lewada-Zentrums ergab, dass jeder Zweite in Russland Putin auch nach 2018 weiter im Amt sehen möchte. Damit die Zustimmung nicht sinkt, sollen die Renten von Sparmassnahmen der Regierung ausgenommen sein.
«Der Westen versucht das Land zu zerstören»
Die Sorgen der Menschen wachsen. Knapp jeder Zweite spürt Umfragen zufolge inzwischen eine Verschlechterung seiner materiellen Lage. Dennoch macht kaum jemand das veraltete Wirtschaftsmodell, noch Putins Ukraine-Politik für die Krise verantwortlich, sondern vielmehr die Sanktionen der EU und der USA.
Putin sei ein guter Politiker, sagt die Rentnerin Sinaida. Der Westen hingegen versuche das Land zu zerstören. Tochter Larissa ergänzt: «Wir bleiben lieber hungrig, als dass wir uns von aussen erklären lassen, was wir zu denken und zu tun haben.»
Es gibt auch Gewinner
Tatsächlich hatten Politiker wie Vizepremier Igor Schuwalow angekündigt, die Russen würden für Putin auf Wohlstand verzichten: «Wir werden jede Notlage in diesem Land überleben – weniger essen und weniger Strom verbrauchen.»
Gewinner sind die wenigen Russen, die ihr Geld in Euro oder Dollar verdienen. Wie der 32-jährige Alexej, der für eine ausländische Produktionsfirma arbeitet. Weil seine Lebensgefährtin eine Tochter erwartet, ist er auf Wohnungssuche. 60 oder 70 Quadratmeter sollen es sein, im Zentrum der Stadt.
Bis vor kurzem unbezahlbar für Alexej, doch sein Gehalt ist plötzlich mehr wert. «Jetzt ist meine Chance», sagt er. Und auch die Zukunft seines Landes sieht er trotz düsterer Prognosen nicht dramatisch. «Russland ist es seit 25 Jahren gewohnt, mit Krisen zu leben».