On n’est pas sérieux, quand on a dix-sept ans. So fomulierte es Arthur Rimbaud. François Ozon erzählt vom Lebensgefühl eines leicht verwöhnten leichten Mädchens.
Isabelle ist belle. (Marine Vacth ist es auch!). Sie ist 17. Sie hat alles, was ein verwöhntes Töchterchen so wünscht. Die Gleichaltrigen findet sie naiv. Ihren Vater sieht sie kaum. Mutter mag sie nicht. Mit ihrem Bruder teilt sie wenigstens Geheimnisse. Was Isabelle wirklich fehlt, ist ein Leben, das ganz ihr allein gehört. «Ich denke nicht. Es denkt mich.» So wie Arthur Rimbaud mit 17 dieses Lebensgefühl formulierte, so könnte auch sie es tun.
Auf ihrer vier «Jahreszeiten» dauernden Suche nach einem eigenen Leben verschenkt Isabelle im Frühling erst einmal ihre Jungfernschaft. Am Strand. An einen nahezu Unbekannten. Doch für ihr Geschenk erhält sie keine Aufmerksamkeit. Die kriegt sie auch nicht von den anderen unreifen Jungs.
On n’est pas sérieux, quand on a dix-sept ans … A.Rimbaud
Erst, als sie im Sommer für ihre erotischen Geschenke auch finanzielle Geschenke annimmt findet sie ihre Variante eines Sexuallebens: Bald bezahlen ältere Herren Isabelle dafür, zu ihnen nett zu sein. Isabelle führt schon im Herbst – fast über Nacht – ein Doppelleben, dessen eine Hälfte zumindest nun ihr ganz allein gehört. Weder der Bruder, noch die Mutter, noch die Freundinnen wissen davon.
Bis zu diesem Punkt hält Ozon «Jeune et Jolie» sich alle Wege offen: Nun könnte der Film zu einem Milieu-Drama werden oder einer Vater-Tochtergeschichte oder – mit Rimbaud – zu einem Pamphlet für einen neuen Blick auf das Liebesspiel. Doch kein Weg wird gewählt. Selbst die Inzest-Geschichte wird mit einer unaufdringlichen Andeutung nur gestreift.
François Ozon entscheidet sich für alle Richtungen. Er bedient sie und verliert sich, wie seine Protagonistin. Er geht den grossen Themen, die in seiner Geschichte stecken, aus dem Weg, wie seine Protagonistin. Er entscheidet sich für keine Nähe und findet darin letztlich nur das, was er bei Rimbaud gesucht hat. «On n’est pas sérieux, quand on a dix-sept ans». Selbst die Vermutung, dass Ozon mit uns mit «Jeune et Jolie» vielleicht lieber die Geschichte eines Jünglings hätte erzählen wollen, will er uns nicht nahe bringen.
«Ô mes petites amoureuses, Que je vous hais !»
Erst im zweiten Drittel des Films greift Ozon, in einer Schulstunde, schliesslich nach dem Schlüssel seiner Geschichte: Als er das Gedicht des Teenagers Arthur Rimbaud, von heutigen Teenagern sprechen lässt. Mit leichter Hand macht er uns klar, wie weit Erlebnishorizont und Erlebnisfähigkeit bei der Jugend auseinander liegen müssen. Tief klafft bei der Mädchenfrau die Diskrepanz zwischen emotionaler und geistiger Reife. Rimbaud selbst zog eine verblüffende Konsequenz aus seinem frühreifen Dilemma: Literarisch machte er seinem Leben nach der Jugend ein Ende. Isabelle verfährt ganz ähnlich. Sie verzichtet auf ihre erotische Jugend.
Was kann das Holz dafür, wenn es als Geige erwacht?
«Jeune et Jolie» schildert die stille Weigerung eines Mädchens, langsam erwachsen zu werden. Indem Isabelle versucht schnell ins Erwachsenenalter zu gelangen, kommt sie da gar nicht an. Dort wo sie eine vorsichtige Absage an die Ordnungen der Erwachsenenwelt versucht, verharrt auch der Film, wo er selber Stellung beziehen müsste: Er entlässt uns zum Schluss bloss mit einer scheinbaren Versöhnung – oder besser einer Vertöchterung mit der Vergangenheit.
Charlotte Rampling, lädt als Gattin des letzten älteren Kunden Isabelle an den Ort ein, wo sie den alten Mann zu Tode geritten hat: Da sitzt die Gattin nun neben dem Todesengel ihres Gatten auf dem Hotelbett, und blickt auf die Vergangenheit zurück. Da sind zwei Frauen einander im Alter ganz nah und doch durch Abgründe der Erfahrung getrennt. Wie schön wäre jetzt das Leben, wenn es nach der Jugend enden könnte. Doch das Jahr hat vier Jahreszeiten. Die Liebe auch. Am Schluss folgt der Winter. Auch bei Ozon.
Der Film läuft demnächst in den Kult.Kinos