Jolanda Neff: Einmal Favorit, einmal Ungewissheit

Heute gibt Jolanda Neff ihr Olympia-Debüt nicht in ihrer Stammdisziplin, dem Cross-Country im Mountainbike, sondern im Strassenrennen. Ihr ist auch auf dem für sie ungewohnten Terrain viel zuzutrauen.

Heute gibt Jolanda Neff ihr Olympia-Debüt nicht in ihrer Stammdisziplin, dem Cross-Country im Mountainbike, sondern im Strassenrennen. Ihr ist auch auf dem für sie ungewohnten Terrain viel zuzutrauen.

2014 war Neff nach Rio de Janeiro gereist, um ein erstes Mal die olympische Mountainbike-Strecke zu begutachten. Sie trainierte dabei auch auf dem anspruchsvollen Strassenparcours und kam auf die Idee, bei Olympia einen Doppelstart zu wagen. Das Projekt nahm konkrete Formen an; nun startet sie in Rio tatsächlich in zwei verschiedenen Disziplinen, mit unterschiedlichen Rädern und auf unterschiedlichem Terrain.

«Ich bin froh, dass dieses Projekt bisher so aufgegangen ist und ich mich in beiden Disziplinen qualifizieren konnte», sagte Neff zwei Tage vor dem Strassenrennen, das heute um 17.15 Uhr Schweizer Zeit gestartet wird. «Jetzt folgen mit den Rennen die Höhepunkte. Ich bin selbst sehr gespannt, was ich tun und erreichen kann.»

Ob Neff das Projekt als Erfolg abbuchen kann, entscheidet sich erst zum Abschluss der Spiele. Die Prüfung im Cross Country findet am zweitletzten Wettkampftag statt. Während sie im Mountainbike als zweifache Siegerin des Gesamtweltcups zu den Topfavoritinnen gehört, ist das Strassenrennen vom Sonntag für die 23-Jährige ein Start ins Ungewisse.

Es sei schwierig abzuschätzen, wo sie genau stehe, so Neff. «Denn auf World-Tour-Level bin ich seit dem Frühling nie mehr gefahren. Ich fühle mich recht gut. Wozu das im internationalen Vergleich reicht, sehen wir dann am Sonntag.» Die Experten des renommierten Radsportportals «cyclingnews.com» zählen Neff zu den zehn Anwärterinnen auf die Medaillen. Die Rheintalerin selbst sieht sich nicht in der Rolle der Mitfavoritin.

Vergleichswerte mit den besten Strassenfahrerinnen besitzt Neff allerdings schon. Letzten Herbst klassierte sie sich an der WM in Richmond im 9. Rang, diesen Frühling fuhr sie an der Trofeo Alfredo Binda auf Platz 3, auf einer Strecke, die ähnlich schwierig und mit ähnlich steilen Anstiegen versehen ist. Am finalen Anstieg fuhr die St. Gallerin der gesamten Weltelite davon, ehe sie in der Abfahrt noch gestellt wurde.

Vor zwei Wochen schliesslich gewann sie mit der zweitägigen Polen-Rundfahrt ihr erstes internationales Rennen. Die besten Fahrerinnen allerdings fehlten an dem erstmals durchgeführten Wettkampf. Dessen ist sich auch Neff bewusst: «Es war cool, dass ich gewonnen habe. Mitnehmen konnte ich vor allem viel Selbstvertrauen für Olympia.»

Ist er für die Schweizer Männer ein Fluch, so ist der selektive, auf Bergfahrer(innen) zugeschnittene Kurs für Neff ein Segen. Ihre Kletterfähigkeiten, ihre physische Stärke und ihr technisches Gespür (für die Abfahrten) kann sie auf den total 136,9 km und vor allem hinauf auf die Vista Chinesa, das finale Hindernis rund 15 km vor dem Ziel, voll ausspielen. Neff erwartet ein «animiertes Rennen». Entscheidend sei die Physis und dass sie am letzten Berg vorne dabei sei.

Wie 22 andere Nationen startet die Schweiz mit nur einer Fahrerin. Das sieht Neff nicht als Nachteil. Im Gegenteil: «Der Kurs ist optimal angelegt für eine Einzelfahrerin. Auch die starken Teams werden ’nur‘ mit maximal vier Fahrerinnen antreten können. Sie werden es schwer haben, das Rennen zu kontrollieren. Ihre taktischen Möglichkeiten sind limitiert.»

Ihre Rückenprobleme, wegen denen sie an der Mountainbike-WM nur Platz 8 erreicht hatte, hofft Neff überwunden zu haben. Oder sie hofft zumindest, dass sie sie in den Griff gekriegt hat. «Es wurde auf jeden Fall viel besser», so Neff. «Im letzten Rennen spürte ich die Rückenprobleme jeweils nur noch ganz am Schluss. Aber wie er bei der sehr starken Belastung im Wettkampf reagiert, weiss man im Voraus nie.»

Nächster Artikel