Die Schweizerische Nationalbank (SNB) ist in ihren Szenarien eher von einem Nein zum Brexit ausgegangen. Dennoch habe sie sich auf ein Ja vorbereitet, sagt SNB-Präsident Thomas Jordan, der während der Brexit-Nacht kein Auge zu tat.
Vom 23. auf den 24. Juni habe er eine schlaflose Nacht verbracht, gibt Thomas Jordan im Interview mit der «SonntagsZeitung» und «Le Matin Dimanche» bekannt. «Ich beobachtete die Wechselkurse alle 15 Minuten und verfolgte die Nachrichten aus Grossbritannien», sagt Jordan.
Er sei zuhause gewesen, habe sein Telefon und seinen Tablet-Computer griffbereit gehabt, und sei mit seinen Mitarbeitern, die für die Überwachung der Finanzmärkte verantwortlich sind, in Kontakt gestanden. Als sich um 6 Uhr morgens ein Ja zum Brexit abgezeichnet habe, habe das SNB-Direktorium, zu dem neben Jordan Fritz Zurbrügg und Andréa Maechler gehören, eine erste Telefonkonferenz abgehalten.
Ungewöhnlicher Schritt
Um 9.20 Uhr griff die SNB dann zu einem ungewöhnlichen Schritt: Sie teilte per Medienmitteilung mit, dass sie am Devisenmarkt interveniere, um eine zu starke Frankenaufwertung zu verhindern. Normalerweise gibt die SNB nicht bekannt, wenn sie am Devisenmarkt interveniert.
Zum Umfang der Devisengeschäfte wollte Jordan im Interview wie üblich keine Angaben machen. Die am vergangenen Montag veröffentlichte SNB-Statistik lieferte ein Indiz dafür, dass es Geschäfte im Umfang von 6,8 Milliarden Franken gewesen sein könnten. Jordan sagt: «Wir äussern uns nie über solche Zahlen.» Aber es sei möglich gewesen, die Lage in einem sehr nervösen, von Turbulenzen geprägten Umfeld zu stabilisieren.
Marktzugang bewahren
Nach dem Brexit-Votum erachtet es Jordan als äusserst wichtig, dass sich die Schweiz den Marktzugang zur EU, aber auch zu Grossbritannien bewahrt. Die EU müsse sich derweil überlegen, welche Reformen geeignet seien, damit ihre Funktionsfähigkeit verbessert werde, sagt Jordan.
Die Gründe für die Unzufriedenheit mit der EU sieht Jordan auch im ökonomischen Bereich: «Das Problem ist, dass Europa nicht genügend Arbeitsplätze schafft, dass das Wirtschaftswachstum zu tief ist und zum Teil sogar negativ und dass die Löhne nicht mehr steigen», sagt Jordan.
Als Lösung sieht er eine Liberalisierung, etwa des Arbeitsmarktes. «Europa hat etwa 10 Prozent Arbeitslosigkeit. Da braucht es mehr Flexibilität auf den Arbeitsmärkten», sagt Jordan. Zudem müsse mehr in Bildung investiert werden. Da bestehe ein Potenzial für Wachstum.
Geldpolitik reicht nicht
Die Geldpolitik allein reiche nicht aus, um das Wachstum anzukurbeln, so Jordan. Auf die Aussage, dass die Liquidität, welche die Notenbanken ins System pumpen, nicht bei der Realwirtschaft ankomme, sagt er: «Weltweit gesehen, ist an dieser Behauptung etwas dran.»
Die Zentralbanken hätten seit Beginn der Finanzkrise viele Massnahmen ergriffen, so Jordan. Sie hätten alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel genutzt, um die Wirtschaft anzukurbeln. Jetzt brauche es strukturelle Reformen und eine intelligente Finanzpolitik, um das Wachstumspotenzial weltweit zu erhöhen.