Der bekannte Pädagoge Jürg Jegge hat zu den gegen ihn erhobenen Missbrauchsvorwürfen Stellung bezogen. Er bestreitet sexuelle Kontakte mit seinem Schüler nicht, hat aber eine etwas andere Sicht auf die Dinge. Die Therapie würde er aber heute nicht mehr anwenden.
Markus Zangger, ein ehemaliger Sonderschüler von Jegge, hatte die Vorwürfe im Buch «Jürg Jegges dunkle Seite» erhoben. Gemeinsam mit dem Co-Autoren des Buchs, dem Journalisten und Autoren Hugo Stamm, schilderte er am Dienstag seine verschiedenen Erlebnisse mit Jegge.
So soll es unter dem Vorwand einer therapeutischen Massnahme über Jahre zu körperlichen Übergriffen gekommen sein, bei denen sie beispielsweise gemeinsam onaniert hätten.
Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda bestritt der Pädagoge und Schriftsteller Jegge nicht, dass es zu sexuellen Kontakten kam. «Es gab alle möglichen Kontakte, auch sexuelle», sagte er.
Zangger sei auch nicht der einzige gewesen: «Es gab immer dann einen sexuellen Kontakt, wenn ich das Gefühl hatte, es bringe etwas.» Zu dieser Zeit habe man von einer allgemeinen Befreiung gesprochen, die eher zu erreichen wäre, wenn sie mit einer Befreiung des Körpers und seiner Sexualität einherginge. «Nicht alle haben diese Theorie vertreten, aber sie wurde diskutiert.»
Jegge betonte aber auch, dass er die Therapie heute nicht mehr machen würde. «Bei all meinem fortschrittlichem Lehrertum habe ich falsch eingeschätzt, dass ich für die Schüler eine Autoritätsperson bin», sagte er. Das habe er damals nicht gesehen.
Diese Problematik sei damals in der ganzen Diskussion in diesem «rot-grünen Kuchen» auch nicht thematisiert worden. «Das kam erst jetzt hervor.»
«War eine gute Freundschaft»
Bezüglich des Buchs habe er aber eine andere Wahrnehmung der Ereignisse, als Zangger sie schildere. «Ich habe unser ganzes Verhältnis von Anfang bis zum Schluss anders gesehen», sagte er. Zwar habe er gewisse Einzelheiten auch so in Erinnerung, wie sie im Buch beschrieben seien, «an die meisten erinnere ich mich jedoch anders».
So erinnert er sich beispielsweise nicht daran, dass er so gewaltigen Druck auf Zangger ausgeübt habe. «Es war für mich – vor allem gegen Schluss – einfach eine gute Freundschaft.» Im Rahmen dieser hätten sie dann auch später noch – ausserhalb der Therapie – ein paar Mal im gegenseitigen Einverständnis sexuellen Kontakt gehabt.
Dabei habe er nie das Gefühl gehabt, er habe Zangger unter Druck gesetzt oder gemacht, dass sich dieser herabgesetzt fühlte, wie Zangger im Buch schreibt. «Wir haben nach dem Sex oft darüber geredet und beide sagten, sie hätten Spass gehabt.» Dies sei auch von Zangger aus gekommen, «und nicht nur von mir».
«Viel Solidarität erlebt»
Jegge war vor allem vom Zeitpunkt der Bucherscheinung überrascht. Er sei zwar von einigen ehemaligen Schülern gewarnt worden, dass Zangger ein Buch schreibe, dachte aber nicht, dass es so schnell veröffentlicht werde.
Am vergangenen Dienstagmorgen habe er schliesslich einen Anruf von Hugo Stamm erhalten. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass er und Zangger ein Buch geschrieben hätten, in dem er prominent vorkomme. Eine halbe Stunde später wurde das Buch den Medien präsentiert.
«Ich musste zuerst mit der Situation fertig werden und ging auf Tauchstation. Dann musste ich das Buch erst einmal lesen», sagte der 73-Jährige. Sein Telefon habe ununterbrochen geläutet. «Ich habe in den vergangenen Tagen aber auch viel Solidarität erlebt.»
«Will meine Sicht schildern»
Vor einiger Zeit bekam der bekannte Pädagoge von Zanggers Anwalt ein Schreiben mit einer Geldforderung. Das Geld sei als Autorenhonorar für die Mitwirkung am Buch «Dummheit ist lernbar» und als Genugtuung für die sexuellen Übergriffe – die rechtlich verjährt sind – gedacht gewesen.
«Da habe ich mir einen Anwalt genommen.» Denn wenn er einfach gezahlt hätte, wäre das als Beweis gesehen worden, dass er etwas Unrechtes getan hätte. «Ich wollte mit Zangger zusammensitzen. Das ist aber nie passiert.» Schliesslich kam ein zweiter Brief mit einer kleineren Geldforderung und nun die Veröffentlichung des Buchs.
Ob er rechtliche Schritte einleiten wird, liess Jegge noch offen. Er müsse zuerst schauen, wie es weitergehe. Er wolle auch nicht gross zurückschlagen, «sondern einfach meine Sicht schildern».
Von seinen verschiedenen Ämtern bei verschiedenen Institutionen, beispielsweise seinem Amt als Ehrenpräsident der Stiftung Märtplatz, sei er zurückgetreten, um diese aus der Schusslinie zu bringen. «Das ist meine Geschichte. Es ist wichtig, dass die Institutionen weiter bestehen.»