Im Internet wird häufig mit und über Bilder kommuniziert. Nicht weil Bilder bekanntlich mehr sagen als 1000 Worte, sondern weil sie schneller von uns aufgenommen und verarbeitet werden können als lange Texte.
Im Internet wird häufig mit und über Bilder kommuniziert. Nicht weil Bilder bekannterweise mehr sagen als 1000 Worte (in diesem Artikel sind es «nur» 915), sondern weil Bilder schneller von uns aufgenommen und verarbeitet werden können als lange Texte. Und schnell soll das Internet nun mal sein. Und wir natürlich auch.
Die bildbasierte Kommunikation ist für uns und das Web also überaus wichtig. Besonders für soziale Netzwerke, in denen sich die offline- und online-Kommunikation systematisch verschränkt. Hier ein Instagrambild von den Joggingschuhen im Blätterlaub («Rise»), da ein Morgenkaffee an der Sonne («Sutro») und dort die Mädels in Pose mit Zahnpastasmile («Lo-Fi»): Bilder als Schnittstellen zwischen offline- und online-Leben.
Bilder, die bezeugen «Ja, mich gibt es wirklich» oder «Ja, ich bin so, wie ich es auf meinem Profil behaupte». Mit Bildern gelingt es uns, den offline-Alltag in die Webwelt hinein zu verlängern, um dort im vermutlich grössten Fotoalbum der Welt selber nach Bildern zu stöbern.
Was gibt es da für Bilder?
Ein laufendes Forschungsprojekt von Prof. Dr. Neumann Braun zum Thema Jugendbilder im Netz beschäftigt sich zur Zeit genau mit dieser Frage. «Es gilt auf der Basis extensiver exemplarischer Fallanalysen einzuschätzen, wie autonom die sogenannten Selbstbilder Jugendlicher tatsächlich gestaltet sind resp. wie stark sowohl Zugzwänge des neuen Mediums (Internet) als auch Einflüsse der alten Medien (Fotografie, TV) auf die Bildproduktion einwirken», heisst es in der Projektbeschreibung.
Ziel des laufenden Forschungsprojekts ist es, verschiedene fotografische Selbstinszenierungsstrategien von Jugendlichen im Web zu analysieren und diese mit traditionellen Darstellungs- und Gestaltungsmustern der klassischen Privatfotografie einerseits und der öffentlichen (Werbe-)Fotografie in den Medien andererseits zu vergleichen.
In einer Zeit, in der Pornografie ohnehin längst etwas Alltägliches geworden und das Web voll von kostenlosen «Füdli-Seiten» ist, liegt die Vermutung nahe, dass man bei einer solchen Analyse auf Bilder von Jugendlichen stösst, die leicht bekleidete Miley Cyrus-Kopien zeigen. Wird bedenkt, dass Cyrus ja wirklich nicht schlecht aussieht und den Jugendlichen dadurch eine Art Orientierungshilfe bietet, ist das alles vielleicht gar keine so schlechte Entwicklung.
«Halböffentliche» Plätze
Denn immerhin sind soziale Netzwerke wie Facebook und Co. nur sogenannte «halböffentliche» Plätze und so immerhin ein noch halbwegs geschützter Ort, um unter Gleichaltrigen Gefühle zu thematisieren (oder was eben unter Liebe, Sexualität und Körper verstanden wird). Denn dank den «Likes», die ein Bild erhält, entsteht so etwas wie ein Peer Review System innerhalb der Community.
Die 375 Bekannten der offline-Welt, die nun als Facebookfreunde das Netzwerk abbilden, in dem wir auch offline unterwegs sind, bewerten die Bilder. An diesen Likes kann man sich orientieren: Bilder, die vielen gefallen, zeigen, was gut ankommt und solche, die unbemerkt im immensen Fotoalbum untergehen, waren wohl eher weniger beliebt.
Nur halb so wild
So betrachtet, hat das soziale Web also keinesfalls einen schlechten Einfluss auf die Entwicklung des eigenen Körpergefühls von Jugendlichen, wie das von Datenschützern und angstmachenden Empörungsjournalisten mit pädagogisierendem Blick immer mal wieder gerne gesagt wird. Denn immerhin können auf diesen halböffentlichen Plattformen Identitäts- und Lebensentwürfe ausprobiert, sowie aktiv und passiv beobachtet werden.
Dass sich die Jugendlichen dabei an konventionellen Posen der Stars und der Werbung orientieren und der vorgegebenen Marktästhetik der Medien und der Kulturindustrie folgen, ist naheliegend und führt sogar dazu, dass man die These aufstellen könnte, dass sich die Personen auf den Bildern dadurch gar nicht wirklich selber zeigen, sondern eigentlich lauter kleine Miley Cyrus und Rihannas darstellen.
Lieber Alltagsbilder als Sexbilder
Tatsache ist aber, so Neumann Braun am Dienstag in der Ringvorlesung Digital Media Studies in der Praxis zum Thema Das Internet der Gefühle, dass sich die Community viel mehr für die eigenen Alltagsbilder und die der angezogenen Freunde interessieren, als für Sexbilder. Diese würden zwar angeschaut, aber nicht kommentiert werde. Vielleicht kam deshalb eine aktuelle Studie aus Dänemark zum Ergebnis, dass Pornografie im Internet Jugendliche kaum direkt beeinflusse, sie solche sogar in der Regel gut bewältigen zu können scheinen.
Ein Ergebnis, das überrascht. Vor allem, wenn man anderswo liest, dass der Instagram Account der kanadischen Künstlerin Petra Collins gesperrt wurde, weil bei ihrem #bikini-Bild einige Haare über den Schlüpfer-Rand hinaus schauten. Dabei ist sie auf diesem Bild «angezogener», als viele der 5,883,628 anderen User, die ihr Bild mit #bikini tagten (vgl. hier oder hier und hier).
Wurde Collins Account gesperrt, weil sie sich auf dem Bild nicht so präsentiert, wie das die Marktästhetik und die Beautyindustrie von jungen Frauen erwartet? «I did nothing that violated the terms of use. No nudity, violence, pornography, unlawful, hateful or infringing imagery. What I did have was an image of MY body that didn’t meet society’s standard of femininity. The image I posted was from the waist down wearing a bathing suit bottom in front of a sparkly backdrop», kontert Collins in ihrem neusten Artikel für die Huffington Post.
Verlust des Menschlichen?
Keine Miley Cyrus-Kopie, keine Nippelblitzer, keine freie Sicht auf neckische Schamlippen, keine Pose der vulgären Art. Und trotzdem ist für diese Art der Bilder kein Platz in sozialen Netzwerken. Sind wir vielleicht gerade dabei uns unbewusst an einer Welt anzunähern, die Aldous Huxley in seinem Utopie-Roman Brave New World schon längst hat kommen sehen? Sehen wir im Web zunehmen Bilder einer Gesellschaft, die vor lauter künstlicher Sexualisierung jegliches Gefühl für Menschliches verliert? Wird eines Tages gar das Kindergebären einmal als «schmutzig» gelten, während Dildos im Znünitäschli landen?
Zugegeben, mit solchen Äusserungen bin ich weit weg von wissenschaftlich fundierten Aussagen und von den Jugendbildern im Web sowieso. Aber in Anbetracht dessen, dass wissenschaftlichen Langzeitstudien, die Kommunikation, Freundschaft und Liebe im Web 2.0 untersuchen und bewerten, nach wie vor fehlen, ist diese unwissenschaftliche Weiterdenk- und –stöberei hoffentlich erlaubt.