Das Bild der rebellischen Jugend gehört in die Mottenkiste: Laut einer Umfrage denken die Schweizer Jugendlichen in vielen politischen und gesellschaftlichen Fragen ähnlich wie frühere Generationen. Das grösste politische Problem ist aus ihrer Sicht die Einwanderung.
Jeder fünfte Jugendliche betrachtet die Einwanderung als das grösste Problem, gefolgt vom Asylwesen und den Beziehungen der Schweiz zur EU. Das ergab eine schweizweite Umfrage der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ) unter knapp 2000 Jugendlichen, die 2015 volljährig werden – und damit erstmals abstimmen und wählen dürfen.
Die Umfrage räumt mit mehr als einem Klischee auf. So sind die Jugendlichen durchaus an Politik interessiert und in ihren Ansichten nicht radikaler als der Rest der Bevölkerung. «Es gibt keinen Bruch zwischen den Generationen», sagte EKKJ-Präsident Pierre Maudet am Montag vor den Medien in Bern.
International – und doch sehr schweizerisch
Obwohl die Jugendlichen in einer international geprägten, vernetzten Welt aufwuchsen, befürwortet nur einer von zehn Befragten einen Beitritt der Schweiz zur EU. «Die Jugendlichen sind international – und doch sehr schweizerisch», sagte Studienautorin Sarah Bütikofer von der Universität Bern.
Auch im Umgang mit Einwanderung zeigten sich die Jugendlichen als eher skeptischer als die Bevölkerung insgesamt. Eine Mehrheit (61,5 Prozent) findet dennoch, dass die Personenfreizügigkeit mit der EU gut ist für die Schweiz.
Gleichzeitig stimmten allerdings über ein Drittel (36 Prozent) der Aussage zu, die Personenfreizügigkeit führe zu einer zu starken Einwanderung und müsse deshalb gestoppt werden. Jeder fünfte befragte Jugendliche hatte bei dieser Frage keine Meinung.
Zwei Drittel wollen wählen
Anders als oft beklagt sind die Jugendlichen nicht politikverdrossen: Jeder zweite Befragte interessiert sich für Politik. Bei den jungen Männern liegt dieser Wert höher als bei den Frauen.
Zwei Drittel der 18-Jährigen möchten diesen Herbst bei den nationalen Wahlen ihre Stimme abgeben. Welche Parteien sie wählen, wurde in der Umfrage nicht gefragt. Da die Jugendlichen ähnliche Ansichten hat wie die älteren Generationen, erwartet Studienautorin Michelle Beyeler keine Verschiebung. Allerdings: «Parteien, die bei der Zuwanderung klare Positionen beziehen, haben Vorteile», sagte sie.
Die Haltungen der Neuwähler gehen in einigen Punkten je nach Geschlecht auseinander, insbesondere was die Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit betrifft. 29 Prozent der jungen Männer wollen, wenn sie eine Familie gründen, am traditionellen Modell festhalten: Der Mann arbeitet Vollzeit, die Frau kümmert sich um Kinder und den Haushalt.
Diese Ansicht teilen nur 15 Prozent der jungen Frauen. Sollten sich diese Unterschiede mit zunehmendem Alter nicht reduzieren, könnte dies problematische Folgen für die Familiengründung und -stabilität haben, heisst es in der Studie.
Graben zwischen Sprachregionen
Neben der Kluft zwischen den Geschlechtern tut sich auch eine zwischen den Sprachregionen auf. Zwar ist der Röstigraben laut der Studie bei vielen Themen verschwunden, doch sind die Tessiner Jugendlichen in einigen Punkten anderer Meinung. Anders als die Jugendlichen in der Deutsch- und Westschweiz betrachten sie die Arbeitslosigkeit klar als wichtigstes Problem der Schweiz.
Mehr als ein Drittel der Tessiner Jugendlichen sprechen sich zudem deutlich dafür aus, der einheimischen Bevölkerung bessere Chancen einzuräumen als der ausländischen. Schweizweit unterstützten nur 15 Prozent der Befragten diese Meinung.