EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat davor gewarnt, bedingungslos auf die US-Forderungen nach einer Erhöhung der Verteidigungsetats einzugehen. «Ich bin sehr dagegen, dass wir uns ins Bockshorn jagen lassen», sagte Juncker am Donnerstagabend.
Die Amerikaner forderten die Erhöhung der Wehretats der NATO-Länder seit vielen Jahren. Er «habe es nicht gerne» wenn die Amerikaner den Sicherheitsbegriff aufs rein Militärische verengten, sagte Juncker auf der Münchner Europa Konferenz. «Es macht doch Sinn, dass man sich überlegt, ob moderne Stabilitätspolitik weltweit sich nicht aus mehreren Teilen zusammensetzt», fügte er hinzu.
Man müsse Verteidigungsausgaben, Entwicklungsausgaben und humanitäre Hilfe addieren. «Wenn man zusammenrechnet, was Europa tut in Verteidigung, plus Entwicklungshilfe, plus humanitäre Hilfe, dann sieht der Vergleich mit den USA schon wesentlich anders aus», sagte der Kommissionspräsident.
Ende der «Kleinstaaterei»
«Moderne Politik kann nicht nur darin bestehen, dass man die Verteidigungsausgaben erhöht.» Ähnlich hatte sich zuvor auch der deutsche Aussenminister Sigmar Gabriel geäussert.
Allerdings mahnte Juncker in der Veranstaltung am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz dennoch eine solidarische Lastenverteilung bei den Sicherheitsausgaben an. Die Europäer müssten aber neben einer Erhöhung der Ausgaben vor allem dafür sorgen, dass die sicherheitspolitische «Kleinstaaterei» in Europa aufhöre und die Militärausgaben europäisch koordiniert würden.
Zweifel an Brexit-Fahrplan
Angesprochen auf den Brexit, sagte Juncker, er glaube nicht, dass es innerhalb der angepeilten 24 Monate gelingen werde, die Modalitäten des Austritts Grossbritanniens aus der EU zu klären und einen Vertrag über das neue Verhältnis des Landes zur EU abzuschliessen.
«Wer denkt, man könne einen Freihandelsvertrag innerhalb von zwei Jahren abschliessen, ohne dass vorher festgelegt worden wäre, wie man denn die Austrittsmodalitäten festlegt, der irrt sich fundamental», warnte der Kommissionspräsident, dessen Behörde für die Verhandlungen mit Grossbritannien zuständig ist.
Nach zwei Jahren könnte das Land in einen rechtlichen Graubereich stürzen, weil dies die Frist für die Austrittsverhandlungen ist. Es würde dann notfalls auch ohne Abkommen aus der EU ausscheiden. Die Frist könnte nur einstimmig von den anderen 27 EU-Staaten verlängert werden.
Über 20’000 Gesetze ändern
In Grossbritannien selbst müssten mehr als 20’000 Gesetze für den Austritt geändert werden, sagte Juncker. Er kritisierte zugleich, dass das Vereinigte Königreich sich bereits jetzt um bilaterale Handelsverträge mit allen möglichen Drittstaaten bemühe. Handelsverträge seien aber Kompetenz der EU. «Niemand, solange er Mitglied ist, hat das Recht, Handelsverträge bilateral abzuschliessen.»
Juncker betonte zudem erneut, dass es keine Abstriche von den vier Grundfreiheiten in der EU (Arbeitnehmer, Kapital, Waren, Dienstleistungen) für Grossbritannien geben könne. «Man ist drinnen oder man ist draussen. Das muss in den Verhandlungen sichergestellt sein», mahnte er.
Die britische Regierung will im März bei der EU den Austrittsantrag einreichen. Im Juni 2016 hatte sich eine knappe Mehrheit der Briten für den Austritt aus der Staatengemeinschaft ausgesprochen.